Gamification: Wo Gamification erfolgreich im Einsatz ist

Von der Organisation der Arbeit als Spiel versprechen sich Wissenschaftler und Unternehmer deutliche Motivationsanreize und eine höhere Produktivität. Die bisherigen Ergebnisse sind durchaus vielversprechend, manchmal sogar spektakulär. Roland Freist hat eine ganze Reihe guter Beispiele gesammelt.

Wer ein Spiel beginnt, bringt es auch zu Ende

Von Roland Freist

Spielen motiviert die Menschen so, dass sie oft weit mehr leisten. Daraus entstand die Idee, typische Elemente von Computerspielen wie z.B. Belohnungen in Form von Erfahrungspunkten, transparenten Fortschritten oder Highscores auch im professionellen Umfeld einzusetzen. Mittlerweile gibt es etliche ausgesprochen erfolgreiche Beispiele.

Man bezeichnet diese Methode heute als Gamification. Damit, so hofft man, sollen sich Motivationssteigerungen ergeben, die vor allem monotone, wenig herausfordernde oder hochkomplexe Aufgaben einfacher zu bewältigen machen. Bereits 2013 hat Stefan Probst im OSBF- bzw. openBIT-Blog das dahinter stehende Prinzip ausführlich erläutert.

Vom Bonusprogramm zur Mitarbeitermotivation

Während Gamification als Theorie sich erst in den letzten Jahren gebildet hat, ist die Idee, Spielelemente im geschäftlichen Umfeld zu verwenden, bereits deutlich älter. Entsprechende Ansätze findet man bereits in den 60er Jahren bei der Firma Weight Watchers; die für Gamification typischen Belohnungspunkte sind jedoch auch seit geraumer Zeit das wichtigste Element des Bonusprogramms Payback oder auch der Flugmeilenprogramme der Airlines. Die Verwendung solcher Spielelemente war jedoch zunächst fast ausschließlich auf die Werbe- und Unterhaltungsindustrie beschränkt.

Seit einigen Jahren interessieren sich jedoch mehr und mehr Unternehmen aus anderen Branchen für die Möglichkeiten von Gamification. Mittlerweile schätzt das Marktforschungsinstitut Gartner, dass rund 70 % der 2000 größten Unternehmen weltweit Spielprinzipien einsetzen, um ihre Mitarbeiter zu motivieren.

Serie: Gamification
Teil 1 ist neugierig, was hinter dem Begriff „Gamification“ steckt. Ziel des Spieles ist, Games-Elemente möglichst effektiv für das Geschäft zu nutzen. Teil 2 sammelt und benennt konkrete Anwendungsbeispiele: aus dem Marketing, in Communities und bei der Kundenbindung. Teil 3 sieht sich an, was Bonuspunkte und Bestenlisten innerhalb des Unternehmens bewirken können, im Vertrieb oder im Servicegeschäft. Für einen Extrabeitrag hat sich Roland Freist umgesehen, wo Gamification bereits erfolgreich im Einsatz ist.

Das Prinzip Community: Hilfe und Wettbewerb

Eines der prominentesten Beispiele ist das SAP Community Network, über das sich Anwender von Produkten der deutschen Softwarefirma SAP austauschen. Die Mitglieder dieser Community bloggen, gestalten Wikis und beantworten ganz gezielt Fragen von anderen Teilnehmern. Im April 2013 wurde auf der Community-Website ein Gamification-Modul installiert, um die Mitglieder zu stärkerer Teilnahme zu motivieren. In der Folge wurden Aktivitäten wie Likes, Bewertungen oder Kommentare registriert, dazu gab es Punkte für die Erfüllung von Aufgaben, das Erreichen eines neuen Levels sowie für das Übernehmen bestimmter Aufgaben. Ergebnis: Bereits in der ersten Woche nach Einführung dieses Systems nahmen die Aktivitäten in der Community um 1034 % zu, und die Zahl der aktiven Mitglieder, die mehr als null Punkte auf dem Konto haben, stieg um 516 % an.

Ähnlich wie die SAP-Community funktioniert Stack Overflow. Das ist eine Website, auf der Programmierer einander bei Problemen helfen. Dafür gibt es bis zu 200 Punkte am Tag. Mit ihrer Punktzahl erwerben sie dann bestimmte Privilegien wie z.B. den Zugriff auf Moderationswerkzeuge, das Bearbeiten von Fragen und Antworten oder das Anlegen von Chatrooms und Wikis.

Auch die Frage-und-Antwort-Community Yahoo Answers, die in Deutschland Yahoo! Clever heißt, arbeitet mit Spielelementen. Zu Beginn bekommt jedes Mitglied 100 Punkte zugewiesen. Wer eine Frage stellt, dem werden fünf Punkte abgezogen, wer eine beantwortet, bekommt zwei Punkte. Weitere Punkte erwirbt man etwa durch das tägliche Login, für die Abstimmung über eine Antwort, die Auswahl der hilfreichsten Antwort auf die eigene Frage und für die beste Antwort auf die Frage eines anderen Mitglieds. Abzüge gibt es für das Löschen einer Antwort sowie für Verstöße gegen das Regelwerk. Wer eine bestimmte Anzahl von Punkten gesammelt hat, erreicht das nächste Level, wo er mehr Fragen stellen darf, aber auch mehr antworten, kommentieren und abstimmen soll und kann. Die Punktabstände zu den nächsthöheren Leveln werden dann immer größer. Auf jeder Stufe warten neue, zusätzliche Aufgaben auf die Community-Mitglieder, die ihnen allerdings auch höhere Punktzahlen einbringen.

Der Entwurf eines solchen Systems von Belohnungen, Rechten und zusätzlichen Pflichten für die einzelnen Level ist Aufgabe des Gamification-Designers.

Das Prinzip Quiz: Spielerisch Wissen vermitteln

Eine andere Möglichkeit, Gamification für das Unternehmen zu nutzen, ist der Entwurf von Spielen, die entweder im Stil eines Quiz Wissen abfragen oder Aufgaben stellen. Zur ersten Gruppe gehört die Karriere-App des Chemiekonzerns Bayer, mit der Mitarbeiter und Außenstehende im Stil von Trivial Pursuit gegeneinander antreten und Punkte sammeln. Die Fragen drehen sich um die Geschichte von Bayer, um Wissenschaft und Gesellschaft sowie um angrenzende Themenbereiche.

Das Prinzip Simulation: Ursache und Wirkung lernen

In der zweiten Gruppe findet man z.B. Plantville, ein Spiel, das von einer amerikanischen Siemens-Tochter entwickelt wurde. Hierbei handelt es sich um die grafisch schön gemachte Simulation einer Fabrik, die der Spieler mit Siemens-Produkten produktiver, effizienter und nachhaltiger machen soll.

Erheblich nüchterner geht es dagegen bei BIMS online zu, der Bayer International Management Simulation, bei der sieben Geschäftsjahre eines international agierenden Unternehmens gemanagt werden sollen. Bayer erhofft sich von diesem Spiel, dass die Spieler und Mitarbeiter ein größeres Verständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge entwickeln. Gleichzeitig profitiere der Konzern aber auch von den Ideen und Strategien, welche die Spieler entwickeln, erklärt die Firma.

Das Prinzip Crowd: Puzzeln für die Wissenschaft

Gamification hilft aber auch, wissenschaftliche Probleme zu lösen. Beim Spiel Foldit müssen die Spieler im Stil des Game-Klassikers Tetris Lösungen für die dreidimensionale Faltung von Proteinen finden. Das Verständnis dieser Vorgänge in den menschlichen Zellen ist u.a. wichtig für die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs, AIDS oder Alzheimer. Regelmäßig werden bei Foldit neue Puzzles veröffentlicht und die Spieler versuchen im Wettstreit um Punkte, eine möglichst gut funktionierende Lösung zu ermitteln.

Die Grenzen zur Citizen Science sind in diesem Fall fließend. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Dank der Fähigkeit zur Mustererkennung sind Menschen bei diesem Spiel oft schneller und effizienter als die Computer. So enträtselten die 57.000 Foldit-Spieler in nur zehn Tagen die Struktur eines Enzyms aus einer Version des AIDS-Virus bei Affen. Die Computer hatten sie zuvor in 15 Jahren nicht gefunden.

Ein anderes Puzzlespiel nennt sich EyeWire. Hier geht es darum, die Verbindungen der Nervenzellen im Gehirn zu kartieren. Um die Teilnehmer an diesem Projekt anzuspornen, werden Punkte vergeben, die jeweils auf höhere Level führen, und es gibt eine Liste der erreichten Highscores. Weitere Beispiele für den Einsatz von Gamification in der Wissenschaft sind das RNA-Puzzle EteRNA oder der Nanomaschinen-Baukasten Nanocrafter.

Fazit: Eine Spielerei ist voller Ernst

Gamification ist nicht zuletzt deshalb ein interessantes Mittel für Unternehmen, weil die Umsetzung fast ausnahmslos mit einer Öffnung einhergeht: Wissensmengen werden in Communities weitergereicht, neu gefasst und diskutiert; es entstehen Freiräume zum Verbessern, Experimentieren und Ausprobieren; Firmen können damit sogar Unmengen neuer Ressourcen erschließen. An dieser Offenheit findet so manche Gamification-Umsetzung aber auch ihre Grenze. Einerseits will man solche Projekte nicht zu sehr aus der Hand geben und riskieren, dass die Community zur Mobbing-Plattform verkommt. Andererseits wenden sich die Mitspieler ab, wenn sie merken, dass etwa eine Simulation nur bestimmte „erwünschte“ Lösungen zulässt.

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Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


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