Neue Konzepte im Kielwasser neuer Technik
Von Roland Freist
Das Internet hat die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in den vergangenen 20 Jahren förmlich explodieren lassen. Die zunehmende Vernetzung, aber auch andere IT-gestützte Technologien haben komplette Branchen entstehen lassen, die es in dieser Form zuvor nicht gab. Das Innovationstempo könnte sich in den kommenden Jahren sogar noch erhöhen.
Unter einer Geschäftsmodellinnovation versteht man laut Wikipedia die „bewusste Veränderung eines bestehenden Geschäftsmodells bzw. die Schaffung eines neuen Geschäftsmodells, das Kundenbedürfnisse besser befriedigt als bestehende Geschäftsmodelle“. Es handelt sich also um einen Begriff aus der Ökonomie, der einen regelmäßig beobachteten wirtschaftlichen Vorgang beschreibt. Geschäftsmodellinnovationen gab es natürlich schon vor dem Aufkommen des Internets, der Begriff selbst ist allerdings erst in den letzten beiden Jahrzehnten populär geworden.
Wertschöpfung ohne Zwischenhandel
Das am häufigsten genannte Beispiel für eine Geschäftsmodellinnovation, die unabhängig vom Internet entstanden ist, ist IKEA. Das schwedische Möbelhaus kam auf die Idee, einen Teil der Wertschöpfung, nämlich Transport und Zusammenbau, zum Kunden auszulagern und auf diese Weise Kosten zu sparen. Das ist einer – von mehreren – Gründen, warum das Unternehmen seine Produkte in vielen Fällen preiswerter anbieten kann als die Konkurrenz.
Ebenfalls oft genannt wird in diesem Zusammenhang das Beispiel Dell. Der Computerhersteller begann seinen rasanten Aufstieg, indem er auf Zwischenhändler verzichtete, einen Direktvertrieb startete und seine Produkte build to order anbot, wodurch er die Lagerkosten minimierte.
Dieses Konzept, die Zwischenhändler auszuschalten, wird heute von zahlreichen Start-up-Unternehmen genutzt und bildet einen der Stützpfeiler ihres Geschäftsmodells. Eines der bekanntesten Beispiele aus den letzten Jahren sind die Taxi-Apps.
Technologische Makler für Services
Das größte in Deutschland tätige Unternehmen dieser Art trägt den Namen myTaxi und vertreibt eine kostenlose App für Android-, BlackBerry, iOS- und Windows-Smartphones, mit der die Kunden direkt Kontakt zu einem bestimmten Taxi aufnehmen und eine Fahrt buchen können. Die App ermittelt per GPS den aktuellen Standort sowohl des Kunden als auch der nächsten freien Taxis und blendet die voraussichtliche Ankunftszeit des Wagens ein. Der Taxifahrer wiederum lädt auf sein eigenes Smartphone eine spezielle myTaxi-App herunter, über welche die Abrechnung mit myTaxi erfolgt. Die Firma kassiert 7 % sowohl des Fahrpreises als auch des Trinkgelds.
Das Konzept von myTaxi schaltet die Taxizentralen als Vermittler aus und bietet den Fahrern einen erweiterten Kundenkreis. Für die Kunden wiederum hat myTaxi den Vorteil, dass es die Abrechnung vereinfacht: Auf Wunsch können sie direkt mit der App bezahlen, zur Wahl steht ein mobile Payment per Kreditkarte oder über PayPal. Die Quittung kommt dann per E-Mail.
Das Start-up myTaxi wurde 2009 in Hamburg gegründet und entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem erfolgreichen Unternehmen. Im Herbst 2014 war es in 40 deutschen Städten sowie international in Barcelona, Graz, Krakau, Madrid, Mailand, Salzburg, Sevilla, Valencia, Warschau und Wien aktiv. Nach Angaben der Firma wurde die App bislang 10 Mio. Mal heruntergeladen, 45.000 Taxis haben sich dem System angeschlossen. Seit September 2014 gehört myTaxi zu 100 % der moovel GmbH, einer Tochter der Daimler AG.
Innovationsmaschine Internet
Am Beispiel von myTaxi zeigt sich auch, wie wichtig die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten für ein innovatives Geschäftsmodell ist. Voraussetzung für den Service, den die Firma bietet, ist die massenhafte Verbreitung von Smartphones mit hochauflösenden Displays und GPS-Funktion, die 2007 mit der Vorstellung des ersten Apple-iPhones einsetzte. Das mobile Internet bildet auch die Basis für einen weiteren Taxidienst, der noch einen Schritt weiter geht als myTaxi und vergleichbare Dienste anbietet: Uber macht jeden Autofahrer mit eigenem Wagen zu einem potenziellen Taxifahrer und bildet damit die Konkurrenz zu einer ganzen, alteingesessenen Branche. Auch dieses Geschäftsmodell ist nur möglich dank neuer technischer Errungenschaften wie Navigationsgerät und Smartphone. Während hauptberufliche Fahrer nach wie vor eingehende Kenntnisse der Straßen, Plätze, Sehenswürdigkeiten, Hotels etc. nachweisen müssen, baut Uber auf der preiswerten Verfügbarkeit von Smartphones mit Navis bzw. mobilen Navigationsdiensten auf und vermittelt die Fahrten über das mobile Internet statt über die traditionellen Funkverbindungen. Derartige Geschäftsmodelle, die mit neuen Möglichkeiten ganze Branchen infrage stellen, heißen oft „disruptive“, weil sie bestehende Märkte geradezu zerreißen können.
Das Internet, diese große Innovationsmaschine, wird in immer mehr Branchen genutzt, in denen sich neu gegründete Firmen damit einen Wettbewerbsvorteil sichern. Der deutsche Küchenhändler Kiveda, 2013 gegründet, unterhält kein teures lokales Filial- und Vertreternetz mehr, sondern führt die Beratungsgespräche zentral von Berlin aus per Videokonferenz. Der Kunde benötigt lediglich einen Computer mit Internet-Anschluss; Webcam oder Headset sind nicht erforderlich. Der Kiveda-Mitarbeiter präsentiert ihm nach Aufnahme der Daten und der gewünschten Ausstattung am Monitor ein 3D-Modell seiner Küche, ein Live-Bild des Beraters wird in einem Fenster eingeblendet. Die Sprachübertragung läuft parallel dazu übers Telefon.
Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime, die derzeit mit ihren Eigenproduktionen die Vormachtstellung der etablierten Fernsehsender angreifen, wären nicht so erfolgreich geworden, wären sie nicht bei der Verbreitung ihrer Inhalte neue Wege gegangen. Sie nutzen aus, dass mittlerweile in den meisten Haushalten ein Smart-TV mit Anschlussmöglichkeit ans Internet steht bzw. Gadgets wie Google Chromecast oder der Fire TV Stick von Amazon auch ältere Geräte mit einem einfach einzurichtenden, preiswerten WLAN-Anschluss ausstatten.
Industrie 4.0 – Geschäftsmodellinnovation von oben
In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren vonseiten der Bundesregierung versucht, mit der Plattform Industrie 4.0 Geschäftsmodellinnovationen bei der Industrie quasi von oben anzustoßen. Auch wenn seit Gründung der Plattform erst knapp drei Jahre vergangen sind, konstatieren Manager wie Reinhard Clemens von T-Systems oder auch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA („Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0“), dass die Ziele der Plattform bislang verfehlt wurden; gleichzeitig verweisen sie jedoch auch auf die Chancen.
Plattform Industrie 4.0 (Bild: BMWi)
Dennoch zeigt sich anhand dieses Beispiels, dass von oben verordnete Innovationen in den meisten Fällen nicht funktionieren. Vielversprechend ist dagegen der amerikanische Ansatz: Dort haben sich unter dem Dach des Industrial Internet Consortiums (IIC) Firmen wie AT&T, Cisco, General Electric, IBM und Intel zusammengefunden, um die Entwicklung, die Einführung und den Einsatz von industriellen Internet-Technologien zu fördern.
Fazit: Frei erfinden oder endlich umbauen
Die Umsetzung eines gänzlich neuen Geschäftsmodells erfolgt häufig durch junge, neu gegründete Unternehmen, die in einigen Fällen anschließend einen rasanten Aufstieg erleben. Tatsächlich schwieriger ist meist die schonungslose Überarbeitung bestehender Konzepte, weil sie mit der Trägheit der Masse zu kämpfen hat. Manager schieben diese Aufgabe allzu oft vor sich her.
Hilfreich ist bei der Geschäftsmodellinnovation die Beobachtung von gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen – derzeit vor allem im Internet-Umfeld –, mit denen die Unternehmen neue, vereinfachte Prozesse aufbauen, veränderte Kundenbedürfnisse befriedigen und Kosten sparen können. Staatliche Stellen und Forschungsinstitutionen können dabei zwar Informationen bereitstellen, auf Chancen hinweisen und Förderinstrumente einsetzen, in der Wirtschaft muss jedoch auch die Bereitschaft vorhanden sein, die Geschäftsmodellinnovation anzugehen.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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