Gleiches Netz für alle
Von Roland Freist
Hinter dem Kürzel FCC verbirgt sich die amerikanische Federal Communications Commission, eine Bundesbehörde, die sich um die Regulierung der Kommunikationswege Rundfunk, Satellit und Kabel kümmert. Seit einem heftig diskutierten Gerichtsurteil vom Januar 2014 hat die FCC auch das Recht bzw. die Pflicht, das Breitband-Internet zu regulieren – was sie zuvor abgelehnt hatte.
Die FCC war bis dahin für ein offenes Internet eingetreten, in dem die Provider verpflichtet waren, ihr Netzmanagement erstens transparent darzustellen, zweitens keine legalen Inhalte und Anwendungen zu blockieren und drittens Datenverkehr nicht zu diskriminieren. Dagegen hatte der Internet-Provider Verizon geklagt und zumindest einen Teilerfolg erzielt: Das Gericht strich die Punkte zwei und drei, die FCC sah sich gezwungen, zu handeln.
Vier Monate Frist bis zur Neufassung
Ihre fünf Mitglieder entwickelten daraufhin Vorschläge, wie das Internet der Zukunft aussehen könnte. Mit drei gegen zwei Stimmen wurden diese Vorschläge am 15. Mai 2014 beschlossen. Nun hat die amerikanische Öffentlichkeit 60 Tage Zeit, die Pläne zu diskutieren. Anschließend gibt es eine weitere 60-Tage-Frist, während der die FCC die Ergebnisse der Diskussion in ihre Vorschläge einbauen kann. Erst danach fällt eine endgültige Entscheidung. Präsident Obama hat übrigens bereits angekündigt, trotz des Gerichtsurteils an der Netzneutralität festhalten zu wollen.
Mit Netzneutralität ist die „wertneutrale Datenübertragung im Internet“ (Wikipedia) gemeint. Es geht darum, dass sämtliche Datenpakete, ganz gleich, woher sie stammen, welche Inhalte sie transportieren und an wen sie gerichtet sind, mit derselben Priorität durchs Netz geleitet werden. Dabei handelt es sich um eines der Internet-Grundprinzipien, das jedoch in den vergangenen Monaten und Jahren in Gefahr zu geraten schien.
Provider erzwingt neues Netzkonzept
Wie sehen nun die Vorschläge der FCC aus? Sieht man sich das Dokument FCC 14-61 an, so gewinnt man den Eindruck, dass die Behörde am liebsten den alten, neutralen Zustand des Netzes beibehalten hätte. Aufgrund des Urteils waren jedoch einige Korrekturen erforderlich. So dürfen nun Provider und Diensteanbieter Abmachungen treffen, nach denen bestimmte Datenpakete bevorzugt behandelt werden. Dieser bevorzugte Datenverkehr, der in der Diskussion oft unter der Bezeichnung „Sonderdienste“ auftaucht, ist jedoch an Bedingungen geknüpft: So müssen die Abmachungen öffentlich gemacht werden, andere Datenpakete dürfen nicht blockiert oder herabgestuft werden und sie dürfen nicht dazu führen, dass der Service eines Providers darunter leidet oder ein bestimmtes Mindestlevel unterschreitet. Wie das im Detail und in der Praxis aussehen soll, lässt die FCC offen.
Die Einführung beginnt in Berlin und klärt die Rahmenbedingungen in Deutschland. Ein erster Regionalschwerpunkt widmet sich dann dem Westen und Nordrhein-Westfalen. Weitere Regionalreports konzentrieren sich auf den deutschen Südwesten und auf Bayern. Extra-Beiträge berichten außerdem über den Stand der NGA-Netze in Österreich und über die praktische, aber schwierige Mobilfunk-Dominanz in der Alpenrepublik.
Kritiker befürchten nun, dass die neuen Regelungen zu einem wachsenden Einfluss von Großunternehmen auf das Internet führen könnten. Kapitalkräftige Firmen wären in der Lage, sich die Überholspur zu sichern, um ihre zahlenden Kunden bevorzugt zu behandeln. In diesem Zusammenhang wird oft der Online-Videodienst Netflix genannt, der in Nordamerika mittlerweile mehr als 30 % des gesamten Download-Volumens beansprucht. Unternehmen wie die Deutsche Telekom, die sowohl Inhalte als auch Internet-Zugänge anbieten, könnten ihre eigenen Dienste mit hoher Bandbreite und besserer Qualität anbieten und Konkurrenten gezielt benachteiligen.
Stefan Probst weist in einem Kommentar für die OSBF (Open Source Business Foundation) darauf hin, dass damit innovative Anbieter und Start-ups, deren Geschäftsmodell ein hohes Datenvolumen umfasst, denen aber wenig Kapital zur Verfügung steht, geringere Entwicklungschancen hätten. Kritik kommt aber auch von mittelständischen Internet-Providern: Ein Sprecher von Versatel beklagte, dass die FCC-Vorschläge ausschließlich auf Großunternehmen abzielten. Kleinere Provider hätten keine Chance, dass etwa Netflix mit ihnen einen Vertrag abschließe. Die Kunden schließlich, so heißt es von zahlreichen Kommentatoren, müssten mit niedrigeren Übertragungsraten und Verzögerungen beim Datenverkehr rechnen.
Kritik von den Inhalte-Anbietern
Aber auch viele amerikanische Internet-Firmen sehen die Pläne kritisch, interessanterweise auch Netflix. Der Videoanbieter, der 2015 nach Deutschland kommen will, hat sich zusammen mit 140 Unternehmen, darunter solchen Größen wie Google, Amazon, Microsoft, Facebook, Amazon, Twitter oder Yahoo, in einem offenen Brief an die FCC für die Bewahrung der Netzneutralität ausgesprochen. Dahinter steht offenbar die Befürchtung der Firmen, dass sie in Zukunft an die Internet-Provider hohe Summen zahlen müssen, um ihre Dienste in ausreichender Qualität zu den Kunden zu bringen.
Die großen Provider wie Vodafone oder die Deutsche Telekom gehören denn auch zu den wenigen Befürwortern der FCC-Vorschläge. Die beiden Telekommunikationsunternehmen sind der Ansicht, dass gesetzliche Regelungen zum Schutz der Netzneutralität wirtschaftlich schädlich seien und neue Geschäftsmodelle behindern würden; dadurch würden letztlich auch Investitionen in die Internet-Infrastruktur verzögert. Dass Dienste wie YouTube bei Kunden, die für ruckelfreie Bilder nicht bezahlen wollen oder können, ausgebremst würden, verhindere hingegen allein schon die harte Konkurrenzsituation auf dem Provider-Markt.
Netzneutrales Europa – im Prinzip
In Europa stellt sich die Situation jedoch ohnehin anders dar als in den USA. Bereits Anfang April hatte das Europäische Parlament für eine gesicherte Netzneutralität gestimmt und als Ausnahme lediglich zugelassen, dass Unternehmen für etwaige Sonderdienste eine separate Infrastruktur schaffen. Die Telekommunikationskonzerne sehen diese Regelung kritisch und sind der Ansicht, dass sie nicht im Sinne der Kunden sei.
Allerdings muss die Entscheidung des Parlaments noch vom europäischen Ministerrat bestätigt werden. Zudem ist fraglich, wann und wie die Regelung von der nationalen Gesetzgebung der einzelnen Länder umgesetzt wird. Das deutsche Wirtschaftsministerium etwa spricht sich zwar klar für die Netzneutralität aus, sieht aber dennoch die Möglichkeit, dass eine „differenzierte Datenübertragung“ für die „Erbringung qualitätssensitiver Dienste“ notwendig sein könne.
Fazit: Warten auf den zweiten Anlauf
Vieles weist im Moment darauf hin, dass die Vorschläge der FCC aufgrund der massiven Kritik bis zur Entscheidung im Herbst stark abgeschwächt werden. Ob sich in den kommenden Jahren dennoch ein Zweiklassen-Internet herausbildet, wird stark von der Entwicklung auf dem Telekommunikationsmarkt abhängen. Der erste Anlauf dazu dürfte jedoch weitgehend gescheitert sein.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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