Uni, öffne dich!
Von Roland Freist
Unter dem Begriff Open Educational Resources (OER) fasst man die Freigabe von Lehr- und Lernmaterialien zusammen. Das geschieht üblicherweise im Internet und durch die Hochschulen. Der Begriff wurde ursprünglich von der Unesco geprägt, die 2002 den Bericht „Forum on the Impact of Open Courseware for Higher Education in Developing Countries“ vorlegte. Ziel war es damals, die Bildungssituation in den Entwicklungsländern zu verbessern. Das ist auch heute noch ein Thema, allerdings hat sich der Schwerpunkt der Diskussion seitdem verlagert. In Deutschland sucht man dagegen noch nach der richtigen Form, in der Wissenschaftler an den Hochschulen ihre Materialien anderen frei zur Verfügung stellen können.
Ein gewichtiges Argument für OER ist, dass die mit Steuergeldern bezahlten Hochschullehrer quasi die Pflicht haben, ihre Arbeit mit anderen zu teilen. Mit der gleichen Begründung arbeiten auch die Befürworter von Open Access, die einen freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und Forschungsergebnissen fordern. Open Access wird jedoch in Deutschland bereits seit Jahren wesentlich intensiver diskutiert als OER.
Gleichzeitig geht es darum einzuschätzen, welchen Nutzen die Hochschulen aus OER ziehen können. Erste Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass offene Hochschulbildungsressourcen eine wirksame Marketing-Maßnahme sein können, da die Universitäten über die veröffentlichten Materialien die Qualität ihrer Lehre demonstrieren. Weitere Argumente umfassen die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lehre durch die Entwicklung neuer didaktischer Konzepte, eine Verbesserung der Lehrmittel sowie Kosteneinsparungen und sogar die Erschließung neuer Einnahmequellen. Eine Idee lautet beispielsweise, dass sich die freien Lehrmaterialien als Basis für die Gestaltung von Schulbüchern eignen könnten. Verwiesen wird dabei gerne auf die USA, wo viele Lehrbücher für den Schulunterricht an den Hochschulen entstehen.
Erste Anfänge in den USA
Die USA sind denn auch der große Vorreiter der OER-Bewegung. Dort veröffentlicht das berühmte Massachusetts Institute of Technology (MIT) bereits seit 2002 auf der Website MIT OpenCourseWare Lehr- und Lerninhalten unter einer freien Lizenz. Finanzielle Unterstützung erhält das MIT dabei von der William and Flora Hewlett Foundation, die von einem der beiden Gründer von Hewlett-Packard ins Leben gerufen wurde und heute über ein stattliches Kapital von mehr als 9 Mrd. US$ verfügt. Parallel dazu hat sich in den USA eine staatliche Förderung entwickelt, die zwischen 2011 und 2015 zur Entwicklung von OER-Lehrmaterialien rund 2 Mrd. US$ an die amerikanischen Community Colleges überwiesen hat.
Von solchen Summen können die in Deutschland an OER interessierten Wissenschaftler und Organisationen nur träumen. Wenn es hierzulande entsprechende Angebote gibt, so ist das zumeist noch der Eigeninitiative einzelner Personen zu verdanken. Prof. Leonhard Dobusch etwa, Wirtschaftswissenschaftler an der FU Berlin, stellt wesentliche Inhalte seiner Veranstaltung „Management, Marketing & Informationssysteme“ in Form eines Wikis auf die Server der Universität.
Es fehlt ein Lizenzmodell
Warum es nicht mehr solcher Angebote gibt, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen fallen Lehrmaterialien in Deutschland unter das Urheberrecht, was die Nutzungsmöglichkeiten begrenzt. Es fehlt derzeit ein Lizenzmodell, auf das sich alle Beteiligten an den Hochschulen und in den staatlichen Ministerien einigen können. Daher herrscht Unsicherheit darüber, welche Materialien wie an anderen Lehrstühlen genutzt werden dürfen.
Zum anderen ist aber auch die Finanzierung ungeklärt. Das Zusammenstellen von OER-Materialien kostet Zeit und Ressourcen, wird jedoch weder von den Hochschulen noch von anderen Organisationen honoriert. Und außer bei einigen Enthusiasten ist beim Lehrpersonal nur wenig Bereitschaft zu erkennen, sich durch das Umschwenken auf OER zusätzliche, nicht bezahlte Arbeit aufzubürden.
Die Diskussion hat begonnen
Immerhin ist die Diskussion über OER auch in Deutschland in Gang gekommen. Im Sommer 2013 fand ein Online-Kurs zu OER statt, dessen Materialien nach wie vor im Netz verfügbar sind. Im gleichen Jahr veranstaltete Wikimedia die OER-Konferenz Deutschland und OER wurde auf Bundesebene in den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aufgenommen. 2014 veröffentlichte dann die Technologiestiftung Berlin eine Studie zur Nutzung von OER auf Landesebene, und 2015 finanzierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 700.000 Euro zwei Forschungsprojekte zu OER.
Die größte deutsche Initiative zu OER läuft jedoch seit 2014 in Hamburg: Dort haben die sechs staatlichen Hochschulen gemeinsam die Hamburg Open Online University gegründet, die seither in einem mit 3,7 Mio. Euro ausgestatteten Projekt die Nutzung freier Lehrmaterialien auslotet. Einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand der Dinge liefert das Whitepaper „Open Educational Resources (OER) an Hochschulen in Deutschland“, das die Autoren kostenlos zum Download anbieten. Es bietet eine ausgezeichnete Zusammenfassung der OER-Aktivitäten in Deutschland und beschäftigt sich beispielsweise auch mit der Frage, welchen Nutzen die Hochschulen aus der Freigabe von Lehrmaterialien ziehen können.
Fazit: Viel Theorie, wenig Anwendung
Deutschland hat die Entwicklung bei OER in den vergangenen zehn Jahren schlichtweg ignoriert. Erst seit etwa zwei Jahren findet hierzulande eine Diskussion darüber statt, wie die Freigabe von Lehrmaterialien Wissenschaftlern und der Forschung helfen kann, in welcher Form man die Ergebnisse am sinnvollsten veröffentlicht und wie eine passende Open-Source-Lizenz dafür aussehen könnte. Doch wird im Moment in erster Linie über das Thema diskutiert. An konkreten Projekten mangelt es nach wie vor.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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