Neues entsteht in Netzwerken
Von Friedrich List
In Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, setzen sich konservative Kräfte oft stärker durch als neue Ideen oder kreative Persönlichkeiten. Dennoch gibt es Strategien, mit denen sich der Prozess beständiger Innovation in Unternehmen und Institutionen verankern lässt. Eine heißt „Open Innovation“. Das Konzept stammt ursprünglich aus den USA und wurde vom Wirtschaftswissenschaftler Henry William Chesbrough formuliert. Es hilft Institutionen dabei, sich für Ideen von innen wie von außen zu öffnen, um ihre Produktentwicklung voranzutreiben und Unternehmen alternative Zugänge zum Markt zu eröffnen.
Open-Innovation-Strategie
Inzwischen wird dieses Konzept nicht nur von Unternehmen angewandt, sondern auch von Ländern in aller Welt als Instrument der Forschungsförderung eingesetzt. Auch Österreich hat als eines von wenigen Ländern in Europa eine eigene Open-Innovation-Strategie entwickelt. Das Land folgte damit dem Beispiel einer Reihe von größeren Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen, die begonnen hatten, Open-Innovation-Prinzipien bei sich anzuwenden. Dazu gehören zum Beispiel der Schmuckhersteller Swarovski, Red Bull und die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG).
Die österreichische Open-Innovation-Strategie wurde 2016 verabschiedet. Sie soll bis 2025 dafür sorgen, dass Unternehmen in der Alpenrepublik sich an derartigen Prinzipien orientieren. Sie sollen auch in die Politik einfließen und den Weg von Neuerungen aus der Forschung in die Anwendung erleichtern.
Eine deutsche Studie vom Juni 2021 zählt denn auch Österreich zu jenen Ländern, die in Sachen offener Innovationspolitik besonders fortschrittlich sind. Die Studie „Openness in internationaler Wissenschafts- und Innovationspolitik“ entstand im Auftrag des Stifterverbandes der deutschen Wirtschaft. Sie nennt Österreich als eines von 15 Best-Practice-Beispielen. Danach hat das Land mit seiner Open-Innovation-Strategie klare Herausforderungen an die Handlungsfelder Kultur und Kompetenzen, Netzwerke und Kooperationen sowie Ressourcen und Rahmenbedingungen definiert. Die Studie belegt, dass eine innovationsfördernde Politik Wirtschaft und innovative Wissenschaft als Teil eines größeren Ökosystems auffasst und Partnerschaften zwischen beiden Seiten unterstützt.
Wissenschaft trifft Wirtschaft
Der österreichische Schmuckhersteller Swarovski wendet seit vielen Jahren Open-Innovation-Prinzipien an. 2013 rief die Unternehmensleitung die Abteilung Open Innovation Networks ins Leben. Ziel war es, das Unternehmen für Allianzen und Initiativen zu öffnen, die zu technischen Innovationen führen. Am Anfang machte das Unternehmen Suchfelder öffentlich, in denen es Wissen und Fähigkeiten aus anderen Industrien suchte. Swarovski strebte auf diesem Weg Partnerschaften mit anderen Firmen an, die daran interessiert waren, ihre Neuentwicklungen zu teilen. Daraus entstand ein Netzwerk von Partnerfirmen speziell in der Materialproduktion.
Die Swarovski-Kristallwelten in Wattens holt sich laufend neue Dinge zum Staunen – zuletzt gab es in Kooperation mit dem Circus-Theater Roncalli die Artisten und das spektakuläre Wonderwheel im „Zirkus der Träume“. 2015 bekam Swarovski den Open Innovation Award der Zeppelin-Universität für das beste Open-Innovation-Netzwerk. (Bild: Gerhard Berger – Swarovski Kristallwelten)
Heute stützt sich das Unternehmen auf ein Innovationsökosystem, in dem Wissenschaft und Wirtschaft zusammenspielen. Auf der einen Seite stehen sogenannte „science ecosystems“, also Universitäten oder andere wissenschaftliche Institutionen, die Forschung betreiben, aber nicht unmittelbar die praktische Umsetzung im Fokus haben. Auf der anderen Seite werden diese von „business ecosystems“ ergänzt, die anwendungsorientiert handeln und daran arbeiten, aus den Errungenschaften der Forschung marktfähige und erfolgreiche Produkte zu machen.
Aus diesem Umfeld heraus hat Swarovski eine Lösung zum 3D-Glasdruck entwickelt. Die Kristallglasveredler wurden durch ihren Open-Innovation-Ansatz zunächst auf ein Start-up aufmerksam, das an einer derartigen Anwendung arbeitete. Nach einer zweijährigen Phase der Zusammenarbeit übernahm Swarovski die Basistechnologie und die Rechte. Zusammen mit anderen Partnern entwarf das Familienunternehmen dann geeignete Maschinen, um die Technologie marktfähig zu machen.
Open Innovation in Science
Ein spezielles „science ecosystem“ stellt die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) dar, das österreichische Pendant zur deutschen Max-Planck-Gesellschaft bzw. zu den Helmholtz-Instituten. Gegründet wurde diese Gesellschaft am 23. September 1960. Das erste Institut der LBG beschäftigte sich ab 1965 mit der Festkörperphysik. Nach einigen Reformen und Umstrukturierungen zu Anfang dieses Jahrhunderts gibt es unter dem Dach der Gesellschaft heute 20 wissenschaftliche Einrichtungen verschiedenen Typs, davon 17 Institute und drei Forschungsgruppen.
2014 legte die LBG ihr eigenes Open-Innovation-Programm auf, die Initiative Open Innovation in Science (OIS) mit zunächst zwei Pilotprojekten. Zwei Jahre später wurde daraus das LGB Open Innovation in Science Center. Das sollte helfen, die Möglichkeiten von Open-Innovation-Prozessen besser zu erschließen und in der österreichischen Wissenschaftslandschaft heimisch zu machen.
Das Center forscht selbst zum Thema und entwickelt Open-Science-Methoden weiter. Dabei untersuchen die Wissenschaftler, wie und unter welchen Bedingungen offene und kollaborative Verfahrensweisen die Prozesse und Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung positiv beeinflussen. Interessant ist vor allem die Wirksamkeit von OIS im Hinblick auf individuelle, organisatorische und institutionelle Randbedingungen. Außerdem führt das Center Weiterbildungen und Beratungen durch.
Aktuelle Forschungsvorhaben haben etwa das Potenzial von Crowdsourcing in der wissenschaftlichen Forschung zum Thema oder beleuchten den Einfluss individueller Einstellungen und Eigenschaften auf gemeinsame Projekte über die Grenzen von Fachdisziplinen hinweg oder zwischen verschiedenen Institutionen. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit den institutionellen Rahmenbedingungen und Organisationsformen, die Open-Innovation-Prinzipien nutzbar machen.
Events für junge Entrepreneure
Die Veranstaltungsreihe Red Bull Basement des österreichischen Getränkeherstellers sucht weltweit nach studentischen Talenten und Entrepreneuren. Aus der Taufe gehoben wurde die Event-Serie 2015 im brasilianischen Sao Paulo. Inzwischen sucht das Unternehmen jedes Jahr in Österreich und in 44 anderen Ländern nach einzelnen Talenten und mehrköpfigen Teams mit innovativen Ideen. In mehreren Ausscheidungsrunden werden die besten Ansätze und die besten Teams herausgefiltert. 2019 siegte ein österreichisches Start-up in der globalen Endausscheidung. Das Audvice-Team um Sophia Bolzer hatte ein Audio-Trainingstool für Unternehmen entwickelt, mit dessen Hilfe Firmen über das Medium Podcast ihre interne und externe Kommunikation verbessern können. Zum Aufnehmen reichen ein Smartphone und die Audvice-App. So lässt sich zum Beispiel ein Audioarchiv mit Kenntnissen oder spezifischen Verfahren aufbauen.
Joanna Power und Paramveer Bhachu von der Londoner Brunel University überzeugten 2020 die Jury im finalen Global Pitch von Red Bull Basement. Mit der Lava Aqua X, einer portablen Waschmaschine, die mit gefiltertem Duschwasser arbeitet, schlugen sie auch die xCover Bucket List und kamen auf Platz 1. (Bild: Mark Roe – Red Bull Content Pool)
Teilnehmen können Studierende, die über 18 sind, fließend Englisch sprechen und in einem der Teilnehmerländer wohnen. Bewerben können sich Einzelpersonen oder Zweierteams; allerdings dürfen weitere Teammitglieder im Hintergrund mitarbeiten. Das Auswahlverfahren hat mehrere Stufen. Zunächst bewerben sich Interessierte mit einem Video von knapp 60 Sekunden Länge. Dann bestimmen nationale Jurys den Finalisten für ihr Land. Die bekommen dann fünf Wochen Zeit, um unterstützt von Mentoren weiter an ihrer Idee zu arbeiten. Die letzte Phase besteht im globalen Finale, das jedes Jahr in einem anderen Land über drei Tage stattfindet. Hier bekommen die Teams Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen sowie Kontakte mit potenziellen Investoren und Förderern zu knüpfen. Am letzten Tag präsentieren sie einem Expertengremium ihre Konzepte.
Die Bewerbungsfrist für dieses Jahr ist gerade abgelaufen, 4042 Ideenentwürfe wurden eingereicht. Im November werden die Landessieger bekannt gegeben, im Dezember folgt dann die Kür des Gewinners beim globalen Finale, das dieses Jahr in Istanbul stattfindet.
Unter den Red-Bull-Finalisten von 2020 war übrigens erneut ein österreichisches Start-up. xCover Bucket List wurde von Joel Eggimann, Michael Harding und Raphael Kagermeier gegründet. Die drei haben eine Lebenshilfe-App entwickelt, die Menschen aller Altersklassen dabei helfen soll, ihre beruflichen und privaten Ziele zu verwirklichen.
Das Prinzip ist eigentlich einfach: Man trägt ein, was man im Leben erreichen, welche Reisen man machen oder welche Abenteuer man erleben will. Aber es bleibt nicht dabei. Zur App gehört eine Nutzercommunity, die sich gegenseitig mit Tipps und Hilfestellungen unterstützt. Idealerweise findet hier jemand, der für sich zum Beispiel einen längeren Aufenthalt in Neuseeland organisieren will, Unterstützer, die wissen, wie man ein Visum bekommt, Jobs und eine preiswerte Unterkunft findet. Oder Neuseeländer, die einem dabei helfen, sich in dem pazifischen Inselstaat zurechtzufinden. Zudem steckt in der App künstliche Intelligenz, die hilft, passende Reisegefährten oder Menschen mit ähnlichen Erlebnisinteressen zu finden.
Ideenplattform an der Salzach
Die Plattform Open Innovation Salzburg entstand 2019 als Kooperation mehrerer Akteure vor Ort. Beteiligt waren und sind das Land Salzburg, die FH und die Universität Salzburg, die Privatuniversität Seeburg und die Innovations- und Technologietransfer Salzburg GmbH. Das Projekt dient als digitale Ideenplattform für Impulse aus der Region und bringt die Beteiligten miteinander ins Gespräch. Es werden Ideenwettbewerbe ausgelobt wie etwa der zur „ZukunftsMobilität“ vom Sommer 2021. Prämiiert wurden dabei Ideen zur Verbesserung der Abstellflächen von Fahrrädern, zum Spritsparen sowie weitere klimafreundliche Projekte von Schülern und Studenten.
Friedrich List ist Journalist und Buchautor in Hamburg. Seit Anfang des Jahrhunderts schreibt er über Themen aus Computerwelt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raumfahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Internationalen Raumstation. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.