Input aus den Netzen ergibt offene Unternehmen
Von Roland Freist
Wir können heute parallel auf mehreren Kanälen kommunizieren, per Chat und Videotelefonie, über Facebook und Twitter, über Fotodienste wie Instagram und Videodienste wie Meerkat, sogar über Adressverzeichnisse wie Xing und LinkedIn. Durch Postings und Retweets lassen sich in Minutenschnelle enorme Menschenmassen erreichen und über Neuigkeiten und Ereignisse informieren. Ein Klick genügt. Wie soll das Marketing hier noch den Überblick behalten?
Resonanzmuster im Social Web
Diese vernetzte Struktur hat weitreichende Folgen nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Unternehmen. Wie der Psychologe und Unternehmensberater Prof. Dr. Peter Kruse vor der Enquete-Kommision Internet und digitale Gesellschaft im Deutschen Bundestag ausführte, kann sich ein so eng vernetztes System quasi selbst aufschaukeln. Es entstehen Lawineneffekte: Ein vergleichsweise geringfügiger Anlass zieht gewaltige Folgen nach sich. Solche Ereignisse sind nicht mehr vorhersehbar. Man kann nur noch versuchen herauszufinden, was aktuell in den Netzen resonanzfähig ist, welche Informationen, Ereignisse etc. also ein außergewöhnlich großes Echo hervorrufen werden. Prof. Kruse verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff „Empathie“ – nur wer nah dran ist am Markt und an den Menschen, bekommt ein Gefühl für die Resonanzmuster der Gesellschaft.
Das bedeutet gleichzeitig, dass eine Verschiebung der Machtverhältnisse stattgefunden hat: Die Macht sitzt nicht mehr beim Anbieter, sondern beim Kunden. In den sozialen Netzen bewerten und empfehlen sie heute weltweit Produkte oder lehnen sie ab. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen und vor einer Produkteinführung verstärkt die Ansichten und Meinungen der Kunden einholen. Sie müssen ein Gespür dafür entwickeln, welche Themen und Werte in den Netzwerken eine hohe Resonanzfähigkeit besitzen. Durch gezielte Aktionen können sie diese Themen anschließend nutzen, um ihre Reputation und ihr Image zu verbessern und zu stärken. Prof. Kruse hat dazu zehn Thesen formuliert, die er im Bundestag noch einmal zusammenfasste.
Offen sein für die Ideen anderer
Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die internen Strukturen der Unternehmen aus. Das Management muss Methoden entwickeln, um zum einen die Informationen aus den sozialen Medien in seine Planungen und Entscheidungen einzubeziehen. Zum anderen ist es erforderlich, das kollektive Wissen der eigenen Mitarbeiter, aber auch die Ideen von Kunden, Partnern und externen Experten stärker zu nutzen. Diese Integration von Meinungen, Gedanken und Anregungen, um Innovationen voranzutreiben, wird mit den Begriffen Open Innovation und Open Management beschrieben.
Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass bei der Wahl der Management-Methoden eine hohe Flexibilität gefragt ist. Denn im Zuge der ständigen Entwicklung in der Gesellschaft, die immer neue Themen entstehen lässt und den herkömmlichen Wertekanon verändert, müssen sich die Führungskräfte auch auf immer wieder neue Menschen, Gedanken und Ansichten einstellen. Nur mit dem Verständnis für das, was in der Gesellschaft passiert, was die Menschen antreibt, können Unternehmen langfristig überleben. Es ist daher nahezu Pflicht für Unternehmen, auf Plattformen wie Facebook oder Twitter vertreten zu sein, eigene Blogs mit Kommentarfunktionen zu führen, Dienste wie YouTube und Meerkat zumindest aufmerksam zu beobachten.
Das Wissen (und die Macht) der Vielen
Aber nicht nur die Unternehmenskommunikation muss sich öffnen. Über die Einbeziehung von externen Akteuren kann das Management die Produktentwicklung auch aktiv unterstützen. Eine wichtige Rolle können dabei Communities spielen, da sie ihr Know-how und ihre Leistungen jedem zur Verfügung stellen, der ihre Regeln beachtet, also etwa die Produkte mit einer offenen Lizenz versieht. In der Software-Industrie hat z.B. Microsoft mit der Freigabe von .NET vorgemacht, wie das geht – eine ursprünglich proprietäre Software wird an die Open-Source-Community übergeben, um so die Entwicklung neuer Produkte zu beschleunigen und die Marktakzeptanz zu erhöhen. Das noch verhältnismäßig junge Unternehmen Facebook hat bei der Entwicklung seiner Tools praktisch von Anfang an auf eine offene Entwicklung gesetzt. Für eine solche Auslagerung von ursprünglich internen Teilaufgaben zu einer Gruppe freiwilliger User hat sich in den letzten Jahren der Begriff Crowdsourcing gebildet.
Fazit: Mitmach-Management schafft starke Bindung
In Zeiten einer engmaschig vernetzten Gesellschaft ist es für die Unternehmen und ihre Führungskräfte überlebenswichtig, offen zu sein für die im Netz geteilten Meinungen, Anregungen und Ideen. Über die aktive Einbindung externer Experten und Communities lassen sich die eigene Produktentwicklung und Innovation fördern und beschleunigen. Belohnt wird die Erkenntnis, dass Kunden heute am längeren Hebel sitzen, mit einer oft enormen Kundenbindung und Markentreue: Wer bei der Produktentwicklung mitgemacht hat, begreift das Ergebnis als sein eigenes Ding.