Anwendergruppen entwickeln Neues nach Bedarf
Von Roland Freist
Der steigende Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung und die damit verbundenen verkürzten Produktzyklen haben in den vergangenen Jahren zu einem stetig steigenden Innovationsdruck bei den Unternehmen geführt. Auf der Suche nach Wegen, um das Tempo zu steigern, entwickelte sich das Konzept von Open Innovation: Organisationen wie Firmen öffneten ihre Innovationsprozesse für die Außenwelt und banden unabhängige Experten ein, da die eigenen Ressourcen nicht mehr ausreichten, um im Wettbewerb mitzuhalten. Bei diesen Experten kann es sich beispielsweise um Wissenschaftler handeln, aber auch um Fachkräfte aus den Reihen der Kunden, Zulieferer oder sogar anderer Anbieter. Beispiele für Open Innovation lassen sich etwa bei vielen Crowdfunding-Projekten beobachten.
Unabhängig von Unternehmensforschung
Open-Innovation-Prozesse sind jedoch immer an Unternehmen oder andere Organisationen gebunden. Die Weiterentwicklung der User Innovation Networks (UIN) verzichtet dagegen auf eine solche steuernde Instanz und funktioniert auch gänzlich unabhängig von einzelnen Herstellern. Das bedeutet nicht, dass Unternehmen von solchen Netzwerken ausgeschlossen wären. Sie sind jedoch lediglich ein Teilnehmer bzw. Teilgeber unter vielen im Innovationsprozess.
User Innovation Networks entstehen häufig dann, wenn ein Produkt, das für die breite Masse der Kunden entwickelt wurde, die Anforderungen einer kleineren Gruppe von Anwendern nicht erfüllen kann. Oft ist dann zu beobachten, dass diese sich zusammentun und entweder ein bestehendes Produkt modifizieren oder es komplett neu konzipieren. Anschließend wenden sie sich in vielen Fällen für die Produktion und den Vertrieb ihres Produkts an größere Unternehmen.
Das wohl bekannteste Beispiel für ein Produkt, das seine Entstehung einem User Innovation Network verdankt, ist Linux. Es entstand aus dem Wunsch vieler Entwickler heraus, ein freies, Unix-ähnliches Betriebssystem zu schaffen. Als Linus Torvalds 1991 ein von ihm geschriebenes Betriebssystem ins Netz stellte, das bereits viele Anforderungen der Programmierer erfüllte, war das der Startschuss für eine der dynamischsten Software-Entwicklungen aller Zeiten. Obwohl Linux heute vor allem von fest angestellten Programmierern bei großen Konzernen wie Red Hat, IBM oder HPE weiterentwickelt wird, ist es nach wie vor ein offenes, freies System, das sich vor allem an den Bedürfnissen der Anwender orientiert. Eine ähnliche Historie wie Linux weisen auch viele andere Open-Source-Projekte auf.
Projekte vor sozio-technischem Hintergrund
Das wohl wichtigste Merkmal eines User Innovation Networks ist die Konzentration auf die Anforderungen der Personen, die das jeweilige Produkt entwickeln. Der Innovationsprozess, der daraus entsteht, ist möglich, weil es sich bei den Akteuren um soziale Wesen handelt, die sich untereinander austauschen. Eine User Innovation ist daher nicht allein technisch getrieben, sondern hat immer einen sozio-technischen Hintergrund. Außerdem zeigt sich, dass Innovationen nicht linear verlaufen müssen, sondern auf mehreren Ebenen gleichzeitig stattfinden können.
Da User Innovation Networks genau das entwickeln, was die Mitglieder einer bestimmten Gruppe von Anwendern benötigen, und weil sie zudem nicht auf die Unterstützung durch Unternehmen angewiesen sind, wurden sie in den vergangenen Jahren auch für Entwicklungsprojekte in Afrika ins Spiel gebracht. Nach Meinung der UN eignen sie sich hervorragend, um Armut zu bekämpfen und Ziele wie soziale Entwicklung bei gleichzeitiger ökologischer Nachhaltigkeit voranzubringen.
Erfolgreiche Sonderwege finden neue Zielgruppen
Die Vereinten Nationen glauben, dass vor allem die von einem hohen Anteil an Jugendlichen geprägten Gesellschaften in Afrika von User Innovation Networks profitieren könnten. Denn sie haben beobachtet, dass insbesondere die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft miteinander interagieren, und wollen das über soziale Netzwerke fördern und Innovationsprozesse anstoßen.
User Innovation Networks können Probleme lösen, die lediglich kleinere oder spezielle Gruppen betreffen. Doch wie das Beispiel Linux zeigt, können sich daraus auch Produkte entwickeln, die für die breite Masse der Anwender interessant sind.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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