Super-GAU Ideenklau
Ein Patent soll den Erfinder und seine Firma davor schützen, dass andere mit seiner Idee Geld verdienen, während er selbst leer ausgeht. Was aber, wenn sich die anderen um sein Recht nicht scheren oder behaupten, jemand anderer hätte die Idee zuerst gehabt – vielleicht auch nur nicht wissen, dass die Idee bereits patentiert ist? Dann müssen Gerichte den Streit in zähen, jahrelangen Prozessen klären. Mittelständischen Patentinhabern fehlen dazu nur allzu oft das Geld und der lange Atem. Ihre letzte Rettung könnte ein Patentverwerter sein.
Patente – oder moderner ausgedrückt: geistiges Eigentum bzw. Intellectual Property (IP) – sind für mittelständische Betriebe häufig das wertvollste Kapital, das sie besitzen. Wird das damit verbundene Schutzrecht verletzt, kann die Existenz des Betriebs auf dem Spiel stehen. Leider sind Patentauseinandersetzungen jedoch selten einfach. Dafür gibt es viele, höchst unterschiedliche Gründe. Besonders schwierig wird es, wenn der Kontrahent im Ausland residiert. Das aber ist immer öfter der Fall, denn Technologien werden weltweit angewendet und Produkte zunehmend globaler vertrieben.
Komplexe Produkte bergen Konflikte
Patente gibt es nicht nur für die konkrete technische Gestaltung eines Produkts oder einzelner Bauteile, sondern auch für die Bedienung, die Funktion und das Produktionsverfahren. Die allein dadurch hohe Zahl möglicher Patentverletzungen wird noch einmal vervielfacht durch die hohe Komplexität moderner Produkte, denn je komplexer ein Produkt, desto mehr Patente kommen in ihm zur Anwendung.
Hinzu kommt noch die schiere weltweite Zahl der Patente. Sie birgt für sich bereits ein hohes Konfliktpotenzial. So kommt die empirische Studie „Complementary Assets, Patent Thickets and Hold-up Threats – Do Transaction Costs Undermine Investments in Innovation?“ des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass die Vielzahl der Patente (die sogenannte Patentdichte) mittlerweile selbst große Unternehmen davon abschrecke, innovative Produkte auf den Markt zu bringen, wenn darin zu viele Fremdpatente zur Anwendung kommen müssten.
Da Deutschland bei der Zahl der Patentanmeldungen – derzeit jährlich rund 60.000 – international seit Langem zu den Top Ten zählt, leiden deutsche Firmen überdurchschnittlich oft unter Patentverletzungen.
Gerichtsverfahren sind lang und teuer
Eine Gegenreaktion auf eine solche Schutzrechtverletzung erfolgt wider Erwarten aber nur selten. So ergab eine 2009 durch die WHU – Otto Beisheim School of Management durchgeführte Befragung unter deutschen Firmen mit eigenem Patentbestand, dass zwar 80 % der Befragten im vorausliegenden Jahr den Verdacht einer Verletzung eigener Patente hegten, aber nur jeder Zweite dem Verdacht ernsthafte Nachforschungen folgen ließ. Davon landeten wiederum lediglich 18 % tatsächlich vor Gericht. Der wichtigste Hinderungsgrund für eine Klage sind laut dieser Studie fehlende finanzielle und personelle Mittel.
Tatsächlich sind schon vor der eigentlichen Klage enorme Kraftanstrengungen nötig: Für den bevorstehenden Prozess müssen Fakten gesammelt werden, darunter Gutachten, die bestätigen, dass tatsächlich ein eigenes Patent verletzt wird, sowie Daten über den Zeitraum der illegalen Nutzung des Patents, die verkauften Stückzahlen des betreffenden Produkts und die damit erzielten Umsätze und Gewinne. Denn ohne den Nachweis eines entgangenen Gewinns gibt es später keine angemessene Entschädigung.
Auch die Honorare für Gutachter und Anwälte summieren sich schnell zu beachtlichen Summen. Schon die erste Instanz eines Patentrechtsstreits schlägt in Deutschland im Schnitt mit 300.000 Euro zu Buche. Allein die Gerichts- und Rechtsberatungskosten können am Ende bis zu einem Drittel des Streitwerts erreichen.
Teil 1 sagt, womit Mittelständler rechnen müssen, die ihre Patente widerrechtlich genutzt finden: mit einer Retourkutsche von Konzernseite. Teil 2 sieht sich um, wann eine Patentklage Erfolg verspricht, und schildert zwei Realbeispiele aus dem Wirtschaftsleben. Teil 3 zeigt Alternativen zum Prozessmarathon auf. Welches Vorgehen am besten ist, müssen am Ende nüchterne betriebswirtschaftliche Erwägungen zeigen.
Neben den Kosten für Recherchen, Gutachten, Rechtsberatung und das Gericht belastet auch der Faktor Zeit die mittelständischen Patentinhaber. Ein Patentrechtsstreit kann Jahre dauern. Allein das Hauptverfahren zieht sich in Deutschland im Schnitt über fünf Jahre hin. Das liegt unter anderem daran, dass einem angegriffenen Unternehmen für die Abwehr gleich mehrere Abwehrstrategien zur Verfügung stehen.
Die beliebteste Strategie besteht in der Anfechtung des Patents wegen Nichtigkeit. Geeignete Angriffspunkte gibt es viele, z. B. eine Anwendung der Technologie durch Dritte vor der Erteilung des Patents. Angezweifelt werden kann aber auch die Klarheit und Nachvollziehbarkeit des Patents.
Welches Potenzial Patentnichtigkeitsklagen gerade großen Unternehmen bietet, erklärt Patentrechtsexperte Professor Dr. Christoph Ann von der Technischen Universität München:
- „Potente Gegner kalkulieren damit, einen Patentstreit nicht nur durch die drei möglichen Instanzen bis zum Bundesgerichtshof (BGH) durchzuziehen, sondern zusätzlich eine Patentnichtigkeitsklage vor den beiden Instanzen Bundespatentgericht und BGH zu führen.“
Das zwinge – unabhängig von der tatsächlichen Rechtslage – den Patentinhaber unter dem Strich zu einem Gerichtsmarathon mit bis zu fünf langen und teuren Gerichtsgängen, warnt der Münchner Jurist. Prof. Ann betont aber auch, dass es natürlich das gute Recht eines jeden Angegriffenen sei, die ihm zustehenden Rechtswege auszuschöpfen.
Darüber hinaus liege der Streitwert, an dem sich die Verfahrenskosten orientieren, in Patentfragen in aller Regel besonders hoch und erreiche nicht selten sogar die Obergrenze von 30 Mio. Euro, warnt der Münchener Experte. Diese Obergrenze sei in das deutsche Kostenrecht eingeführt worden, um kleine Unternehmen überhaupt erst in die Lage zu versetzen, gegen finanzstarke Gegner vor Gericht zu ziehen.
Eine weitere gefährliche Abwehrstrategie besteht in einer Gegenklage eines Patentverletzers auf Verletzung eigener Patente. Eine solche ist nicht einmal besonders unwahrscheinlich, bedenkt man, wie viele Patente große Unternehmen in der Regel besitzen und wie sehr sich die Produktpaletten von Unternehmen einer Branche gleichen. Da sind Überschneidungen förmlich vorprogrammiert. So kann es passieren, dass der Kläger sich in einem zweiten Prozess plötzlich als Beklagter wiederfindet.
Die Zeit arbeitet für die Großen
Für mittelständische Unternehmen ist eine lange Prozessdauer deshalb so belastend, weil jeder Patentstreit automatisch zur Chefsache wird, so dass das operative Tagesgeschäft zwangsläufig in den Hintergrund tritt und die Umsätze einbrechen, selbst wenn den eigentlichen Kampf die Anwälte auszufechten haben. Muss aufgrund einer Gegenklage darüber hinaus die Produktion eines oder mehrerer Produkte bis zum Urteil eingestellt werden, steht von heute auf morgen sogar die Existenz des Betriebs auf dem Spiel.
Große Unternehmen mit umfangreichen Produktpaletten und vielköpfigem Management können im Gegensatz dazu solche Kollateralschäden nicht nur verkraften, sondern mit einem Heer von Gutachtern und Anwälten bewusst auf Zeit spielen. Für die Steuerung der Gegenoffensive stehen zudem genügend Topmanager zur Verfügung, ohne dass das operative Geschäft leiden müsste.
Die landläufige Meinung, kleine und mittlere Betriebe hätten vor Gericht in Patentstreitigkeiten weniger Chancen als Großunternehmen halten die Autoren der WHU-Studie jedoch für falsch. Ihre Untersuchung habe ergeben, dass vor dem Richter nahezu Chancengleichheit herrscht.
Nicht immer beginnen Patentstreitigkeiten gleich mit bösem Blut. Manche starten sogar als regelrechte Erfolgsgeschichten: Da kauft z.B. ein großes Unternehmen vom mittelständischen Patentbesitzer ganz regulär eine Lizenz. Wenn es dann aber ans Bezahlen geht, werden Rechnungen mit fadenscheinigen Argumenten zurückgewiesen, bis der kleine Partner insolvent ist. Die insolvente Firma wird am Ende samt Patent für ein Taschengeld aufgekauft.
Oder ein Großunternehmer lässt abkupfern – aber nicht im Inland, sondern durch Zulieferer in den fernsten Winkeln der Welt. Damit wird die Hürde für den mittelständischen Patentinhaber so groß, dass er kaum noch eine Chance hat, zu seinem Geld zu kommen.
Prozesse im Ausland sind besonders teuer
Sitzt der Gegner nämlich im Ausland, ist ein Prozess für kleine und mittlere Unternehmen nahezu aussichtslos. Unklare Rechtsverhältnisse und korrupte Strukturen vor Ort machen aus einem solchen Verfahren ganz schnell ein Vabanquespiel.
Hinzu kommen Reisekosten für Gutachter und Mitarbeiter sowie das Honorar für einen Anwalt vor Ort. Außerdem müssen für den Prozess diverse Dokumente von fachkundigen Übersetzern in die Landessprache übersetzt werden. Da im Verlauf eines solchen Verfahrens nicht selten Hunderte bis Tausende Seiten zu übersetzen sind, addieren sich die dafür anfallenden Honorare am Ende zu beachtlichen Summen. Dass durch diesen zusätzlichen Aufwand Patentprozesse im Ausland noch einmal deutlich länger als im Inland dauern können, steht außer Frage.
Neben den Kosten bereiten auch fehlende Netzwerke und Kontakte Probleme, wenn es gilt, mögliche Geschäftspartner und Kunden des Gegners zu finden. Der offizielle Weg über Firmenverzeichnisse und Geschäftsberichte ist in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas, aber auch in Russland und anderen osteuropäischen Ländern nahezu aussichtslos.
- Dass ein Prozess alles andere als einfach ist, zeigen die Realbeispiele in Teil 2 dieser Serie.