Fernspeisung macht Datenkabel zu Heizdrähten
Auf der Light + Building 2016 in Frankfurt konnte man Mitte März 2016 in der Sonderschau „Digital Building“ IP-basierte Techniken für die Gebäudeautomation im Zusammenspiel sehen. Die LAN-basierte LED-Beleuchtung beispielsweise ließ sich entweder zentral oder per App und Smartphone konfigurieren. Sie wertete für die optimale Beleuchtung unter anderem die Daten eines Helligkeitssensors aus. Für Rechenzentren interessant: Mit Präsenzmeldern im Flur kann auch eine Nachführbeleuchtung realisiert werden. Oder: Nach Freigabe der Zutrittskontrolle werden nur die Bereiche beleuchtet, für die der Besucher eine Zutrittsberechtigung hat; geht er in andere Bereiche, wird Alarm ausgelöst.
Beleuchtung, Sensoren, Signalgeber, Jalousien-, Heizungs- und Klimasteuerung kommunizieren miteinander. Sind sie als Netzkomponenten direkt ins LAN integriert, können sie darüber auch mit Energie versorgt werden. Das bedeutet: Sie lassen sich in das USV-Konzept für das Netz integrieren und funktionieren bei einem Stromausfall weiter. Viele Sensoren und Systeme sind zwar noch nicht auf TCP/IP-Basis erhältlich und werden über einen seriellen Bus und entsprechende Gateways ins TCP/IP-Netz eingebunden. Doch der Trend geht klar in Richtung All-IP und Fernspeisung.
PoE-Varianten aus der IEEE-Normung
Je mehr Geräte über PoE versorgt werden, umso wärmer wird es in den Kabelkanälen und auf den Trassen. LED-Beleuchtung oder herkömmliche WLAN-Access-Points lassen sich per PoE mit bis zu 12,95 W (IEEE 802.3af) versorgen. Für die Fernspeisung von Netzwerkkameras ist PoE+ bis 21,90 W (IEEE 802.3at) notwendig. Beide Techniken versorgen Endgeräte über zwei Adernpaare. Das kann über nicht belegte Adernpaare geschehen oder, wie bei Gigabit-Ethernet oder ISDN, parallel zum Ethernet-Signal.
Über Resistive Power Discovery wird ermittelt, ob ein angeschlossenes Endgerät über einen 25-kΩ-Abschlusswiderstand verfügt und damit PoE-fähig ist. Hierzu legt die Versorgungseinheit (Switch oder Midspan-Device) zunächst mehrfach eine minimale Spannung auf die Adern, mit der sich im Normalfall kein Gerät beschädigen lässt. Daraufhin wird es mit einer geringen Leistung versorgt und muss nun signalisieren, zu welcher der vier im IEEE 802.3af-Standard definierten Leistungsklassen es gehört. Die Einspeisung erfolgt über den Switch oder über ein separates Midspan-Device, das zum Beispiel als Patchpanel im Etagenverteiler ausgeführt sein kann.
Fernspeisung über alle vier Adernpaare bei 4PPoE. (Bild: Reichle + De-Massari)
Derzeit noch in der Projektphase befindet sich IEEE P802.3bt (4PPoE). Der zugehörige Standard soll voraussichtlich 2018 verabschiedet werden und eine Fernspeisung über alle vier Adernpaare mit mindestens 49 W Leistung am Endgerät ermöglichen. Es sind dabei auch Speiseleistungen von 100 W im Gespräch.
Proprietäre PoE-Varianten
Darüber hinaus sind proprietäre PoE-Techniken verfügbar, die schon heute diese Leistungen bieten. Für den Anwender heißt das aber: Er benötigt für die Einspeisung die Switches und Midspan-Devices des Herstellers und muss darauf vertrauen, dass auch hier Resistive Power Discovery betrieben wird, um Geräte zu schützen, die nicht für die jeweilige Technik ausgelegt sind.
So brachte 2011 Cisco die UPoE-Technik (Universal PoE) auf den Markt, die Endgeräte über alle vier Adernpaare mit je 700 mA speist und dabei auf maximal 54 W kommt. Damit lassen sich auch Drucker oder Laptops versorgen.
Für die Fernspeisung von Geräten der Unterhaltungselektronik entwickelte eine Allianz aus Herstellern wie LG, Samsung und Sony die PoH-Technik (Power over HDBase-T). Sie basiert auf PoE+, speist aber alle vier Adernpaare jeweils mit 1 A. PoH bietet zum Beispiel für Blu-ray-Player und Beamer eine maximale Broadcast-Übertragungsrate von 1 GBit/s, kombiniert mit einer Spannungsversorgung von bis zu 100 W.
Es sind also schon heute Fernspeisungen übers Datennetz realisierbar, die eine Vielzahl moderner IT-Endgeräte abdecken und den konventionellen 230-V-Netzanschluss obsolet machen. Wer sich das für sein Netz überlegt, sollte aber laut Thomas Wegmann, PoE-Experte der DKE (Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik im DIN und VDE), folgende drei Aspekte bei der Verkabelung berücksichtigen:
- Die maximale Betriebstemperatur bei Datenkabeln kann durch die Beaufschlagung mit Gleichstrom überschritten werden.
- Das Stecken und Ziehen zum Beispiel von Patch-Kabeln unter Last kann die Kontakte der RJ45-Verbinder beschädigen.
- Die Kabelerwärmung führt zu einem Dämpfungsanstieg der Übertragungsstrecke und erhöht die Bitfehlerrate auf dieser Strecke. Die maximale Länge der Übertragungsstrecke ist somit temperaturabhängig.
In Vorbereitung der künftigen 4PPoE-Norm hat die für Verkabelungsnormen zuständige CENELEC/TC 215 exemplarische Temperaturmessungen mit einer Einspeisung über alle vier Adernpaare an Kabelbündeln vorgenommen und hierzu einen standardisierten Aufbau zur Reproduzierbarkeit der Messungen entwickelt. Die Arbeitsgruppe sollte auf dieser Basis Anforderungen und Empfehlungen für den Betrieb von Fernspeisung mit Verkabelungen der Klasse D und höher formulieren. Thomas Wegmann stellte die ersten Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe im Dezember 2015 auf der 22. ITG-Fachtagung des VDE in Köln vor.
Temperatur in den Kabelbündeln
Diese Messungen mit einer Einspeisung über alle vier Adernpaare ergaben, dass die Temperatur des Bündels proportional zur Anzahl der Kabel steigt: Bei einem Bündel mit 37 Kabeln ist der Temperaturanstieg rund 20 % höher als bei einem mit 24 Kabeln. Bei Bündeln mit bis zu 24 Kabeln kann man vereinfachend eine konstante Erwärmung aller Kabel im Bündel annehmen.
Die Erwärmung von gedämmten und gekühlten Datenkabeln im Bündel nach CLC/TR 50174-99-1:2015 (Bild: Reichle + De-Massari)
Werden die Kabel allerdings über belüftete Wege geführt, steigt die Temperatur nur halb so stark an wie bei nicht belüfteten Wegen. Gedämmte Kabelwege können dagegen eine Erwärmung bis um den Faktor 6 erreichen. Zudem zeigte sich, dass S/FTP-Kabel sich deutlich weniger stark erwärmen als ungeschirmte.
Einfluss auf die Steckverbinder
Ferner ermittelte die Gruppe, dass die Steckverbinder bei 60° C für einen Dauerbetriebsstrom von 0,75 A je Leiter ausgelegt sein müssen. Insbesondere bei Ziehen unter Last ist nicht auszuschließen, dass die Kontakte beschädigt werden, wenn die Stromstärke je Leiter 300 mA übersteigt oder häufiges Ziehen unter Last zu erwarten ist. Denn dabei entsteht ein Abreißfunke, der punktuell ein Plasma mit extrem hoher Temperatur erzeugt. Das beschädigt die Kontakte an Buchse und Stecker.
Aufbau eines RJ45-Stecker-Buchse-Paares, das sich besonders gut für PoE-Übertragungen eignet. (Bild: Reichle + De-Massari)
Die Messergebnisse sind im technischen Bericht CLC/TR 50174-99-1:2015 dokumentiert und als Beiblatt 1 zu DIN EN 50174-2 (VDE 0800-174-2) veröffentlicht. Daraus kann man laut Thomas Wegman einige praktische Hinweise entnehmen.
Empfehlungen für Neuinstallationen: Kabelbündel auf höchstens 24 Kabel begrenzen, Zwischenräume zwischen einzelnen Kabelbündeln vorsehen, Kabelwegsysteme verwenden, die eine natürliche oder gezielte Lüftung ermöglichen und dabei die in DIN EN 50174-2, Abschnitt 6 genannten Trennabstände einhalten, außerdem die Länge der Kabelwege und -systeme sowie die Installationsart dokumentieren.
Empfehlungen für bestehende Installationen: Dämpfungserhöhungen durch Kabelerwärmung vermeiden, eine Beschädigung der installierten Verkabelung vermeiden, gegebenenfalls mit Zwangsbelüftung arbeiten und die eingespeiste Gesamtleistung nach Tabelle 2 CLC/TR 50174-99-1:2015 berücksichtigen.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „Rechenzentren und Infrastruktur“. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Leiterquerschnitt und lange Kontaktflächen
Auch die Entwickler von Reichle & De-Massari haben sich mit der Thematik 4PPoE befasst und kamen bei ihren Messungen im firmeneigenen Labor zu ähnlichen Empfehlungen. Bei der Wahl der Kabeltypen wird das Unternehmen konkreter als die technische Dokumentation: Es empfiehlt, Kabel mit größerem Leiterquerschnitt zu verwenden, als für die gewählte Kategorie notwendig wäre. So könne weiterhin die maximale Link-Länge genutzt werden. Rechenzentren sollten für Gigabit-Ethernet-Verbindungen lieber ein Kategorie-6-Kabel (AWG23) als ein Cat-5e-Kabel einsetzen beziehungsweise für 10-Gigabit-Ethernet-Strecken ein Cat-7A-Kabel anstatt eines Cat-6A-Kabels. Zudem solle man Kabeltemperaturen über 60° C vermeiden, selbst wenn das Dämpfungsbudget dies zuließe.
Darüber hinaus gibt das Unternehmen in seinem Whitepaper zum Thema noch den Hinweis, dass bei Patch-Kabeln im Verteilerschrank durchaus mächtige Kabelbündel entstehen können. Auch in diesen Bündeln sollte die Maximaltemperatur von 60° C nicht überschritten werden. Berechnungen hätten gezeigt, dass mit der Einführung von 4PPoE die Patch-Kabel einen Leiterquerschnitt von mindestens AWG26 benötigen werden.
Zum Thema Steckverbinder und Abreißfunke empfiehlt das Unternehmen IDC-Steckverbinder mit langen Kontaktflächen. Dabei wird der Verbindungs- bzw. Trennbereich, in dem der Abreißfunke entstehen kann, durch eine möglichst lange Schleifzone vom tatsächlichen Kontaktbereich für die Datenübertragung getrennt. Das Whitepaper „More Power over Ethernet: 4PPoE – parameters for network planning“ gibt es gegen Angabe der Kontaktdaten auf www.rdm.com zum Download.