Löschpflicht ab Kenntnis von Rechtsverstößen
Von Sabine Wagner
Immer mehr Unternehmen, aber auch private Nutzer wehren sich rechtlich gegen Einträge im Netz, die ihrer Ansicht nach unzutreffend oder beleidigend sind. Die eigentlichen Urheber sind selten direkt greifbar – also hält man sich an die Diensteanbieter. Die Plattformen und Portale haften für Beiträge auf ihren Seiten zwar nicht generell, aber im Einzelfall unter Umständen doch.
Dingfest ist nur das Forum der Veröffentlichung
Im Gegensatz zu Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften sind Äußerungen im Netz dauerhaft präsent. Zugleich lassen sie sich leicht auffinden und noch leichter verbreiten. Oft ist der Urheber anonym und nicht erkennbar, sodass man im Fall von strafrechtlich relevanten Äußerungen nicht einfach Strafanzeige stellen kann; auch Abmahnungen und strafbewehrte Unterlassungsansprüche sind meist stumpfe Waffen: Ohne Namen und Anschrift des Urhebers bleiben alle rechtlichen Ansprüche gegen den Urheber Theorie. Um wenigstens etwas zu erreichen, wenden sich die Betroffenen dann an den Provider von Portalen oder Suchmaschinen, um Einträge löschen oder sperren zu lassen.
Auch wenn diese Portale die Veröffentlichung der Einträge ermöglicht haben, ist es wichtig, diese nicht mit den Urhebern der Einträge und damit mit den Tätern der Straftaten zu verwechseln oder mit diesen gleichzusetzen!
Portal haftet nicht für schlechte Hotelbewertung
So haftet der Betreiber eines Hotelbewertungsportals nicht uneingeschränkt für Bewertungen durch Nutzer. Mit Urteil vom 19. März 2015 (Az. I ZR 94/13) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass beleidigende Äußerungen eines Nutzers diesem Portal nicht zugerechnet werden können. Die Haftung des Portals nach § 2 Nr. 1 TMG (Telemediengesetz) ist nach § 7 Abs. 2 und § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG eingeschränkt. Eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn spezifische Prüfungspflichten verletzt werden.
Ob eine solche Verletzung vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dem Betreiber solcher Portale kann jedenfalls nicht zugemutet werden, jeden Eintrag vor der Online-Schaltung inhaltlich zu prüfen. Dieser Aufwand ist unverhältnismäßig und damit wirtschaftlich unzumutbar. Zumutbar dagegen ist, dass ab Kenntniserlangung von klaren Rechtsverletzungen der Portalbetreiber solche Einträge löscht bzw. sperrt. Betreiber von Portalen, die ein „hochgradig gefährliches Geschäftsmodell“ haben, treffen dagegen Prüfpflichten und nicht nur Beseitigungspflichten nach Kenntnis.
Der Provider wird also in der Regel nur dann zum Störer, wenn er nach Kenntnis der unzutreffenden Einträge untätig bleibt. Dann wird er zu Recht auf Unterlassung in Anspruch genommen. Dies hat das Oberlandesgericht Dresden mit Urteil vom 1. April 2015 (Az. 4 U 1296/14) bestätigt, als ein Anbieter von Mikroblogging-Diensten verpflichtet wurde, rechtswidrige Äußerungen von Nutzern zu löschen.
Provider-Haftung im Einzelfall ist EU-konform
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 16. Juni 2015 (Az. 64569/09) entschieden, dass die Annahme einer Haftung durch ein nationales Gericht nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Zugleich jedoch bestätigte das EGMR die Rechtsprechung des BGH, dass unter Umständen (Einzelfallentscheidung) eine Haftung des Providers auch dann bejaht werden kann, wenn der Portalbetreiber zuvor noch nicht einmal auf den Verstoß hingewiesen wurde. Dass die Rechtsfindung um die Anbieterhaftung momentan auf Grundsatzebene geführt wird, zeigt die Höhe der Schadensersatzansprüche, um die der Europäische Gerichtshof zu verhandeln hatte: 320 Euro.