Aus der Uni direkt durchstarten
Von Mehmet Toprak
Wenn nach all den Schocks und Shutdowns der Pandemie die Wirtschaft versucht, wieder auf die Beine zu kommen, dann sind harte Arbeit und Einsatz gefragt. Auch innovative Geschäftsmodelle und gute Ideen helfen. Letztere findet man oft bei jungen Existenzgründern – insbesondere bei solchen, die aus der Hochschule heraus eine Ausgründung wagen.
Deutschlands Gründerszene
In Deutschland gibt es seit vielen Jahren eine lebendige Gründerszene, an der auch Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen einen gewichtigen Anteil haben. Das belegen die Zahlen aus dem Gründungsradar 2018 des Stifterverbands. 2017 wurden in Deutschland 1776 Start-ups ins Leben gerufen, davon 767 mit „Wissenstransfer aus Hochschulen“, die direkt aus dem Studium heraus eine Firma gegründet haben. Laut Gründungsradar greifen 79 % der Fachhochschulen und Hochschulen ohne Promotionsrecht den Gründern finanziell unter die Arme, bei den Universitäten und Hochschulen mit Promotionsrecht liegt der Wert sogar bei 91 %.
Seit dem ersten Gründungsradar 2012 hat sich die Gründungsförderung der Hochschulen deutlich verbessert, wie die Autoren der Studie lobend anmerken. So existieren jetzt beispielsweise viel mehr unterschiedliche Veranstaltungen und Formate, mit denen die jungen Gründer unterstützt werden. Auch für die Hochschulen selbst lohnt sich das. Schließlich bleiben erfolgreiche Ausgründungen zumeist in der Region und festigen so den Ruf der Universität oder Fachhochschule als innovationsfreudige Institution. Wenn Hochschulen sich nach der Ausgründung eine Beteiligung am Unternehmen sichern oder Rechte an den Patenten halten, fließt zumindest in diesen Fällen ein Teil des investierten Geldes zurück.
Mit dem Silent Air Taxi – hier bei der Enthüllung des Modells im Juni 2019 – wollen die e.SAT-Gründer hoch hinaus. Die passende Forschungsstart- und -landebahn am Flughafen Aachen-Merzbrück wurde am 5. September 2020 eröffnet. (Bild: Andreas Schmitter – e.SAT GmbH)
Ein Großteil der Spin-offs beschäftigt sich mit den Themenfeldern, die zurzeit besonders hoch im Kurs stehen. So gab es 434 Existenzgründer im Bereich IT-gestützte Dienstleistungen, 105 im Bereich Medizintechnik oder Gesundheit und 57 in Umwelt-, Klima- und Energietechnologie. Der Studieninteressent, der sich schon früh mit dem Gedanken beschäftigt, seine eigene Firma zu gründen, checkt am besten auf den Webseiten der anvisierten Hochschulen, wie Existenzgründer tatsächlich gefördert werden.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen bereits verfügbaren Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Imagewettbewerb der Hochschulen
Hilfe für junge Existenzgründer kommt auch von den Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Regionen. Städte wie Dortmund, Düsseldorf, Bochum, Duisburg, Köln, Aachen, Wiesbaden oder Münster wetteifern um den Ruf als gründungsfreundlichste Metropole.
Support erfahren die Existenzgründer nicht nur von den Lehranstalten, auch die jeweilige Landesregierung (in der Regel die Ministerien für Wirtschaft und Wissenschaft) oder diverse Gründernetzwerke und Initiativen der Unternehmen buhlen um die Aufmerksamkeit der Start-up-Kandidaten. Beste Voraussetzungen also für Hochschulabsolventen mit einer guten Geschäftsidee.
Unterstützung für Start-ups
Gründerförderung der Hochschulen: Nahezu alle Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten bieten unter Stichworten wie „Existenzgründung“ oder „Transfer von Forschung“ Hilfe für Existenzgründer. Die Universitäten beraten auch bei der Anmeldung von Patenten.
Landesregierungen: Nicht nur die Bundesregierung, auch die Wirtschafts- und Wissenschaftsministerien der Bundesländer helfen Existenzgründern. Dabei arbeiten sie mit den Hochschulen zusammen. Diese bilden immer die beste Anlaufstelle.
EXIST Gründerstipendium: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat mit EXIST ein eigenes Förderprogramm aufgelegt. Das Ziel besteht darin, das Gründungsklima an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verbessern. Außerdem soll die Zahl der wissensbasierten und technologieorientierten Gründungen steigen. Hierzu unterstützt das EXIST-Gründerstipendium Hochschulabsolventen und Wissenschaftler bei der Vorbereitung einer Ausgründung. Dazu arbeitet EXIST mit Partnern wie Gründungsinitiativen, Business-Wettbewerben oder der jeweiligen Hochschule zusammen. → https://www.exist.de/DE/Programm/Exist-Gruenderstipendium/
Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE): Einige Wissenschafts- und Wirtschaftsministerien zapfen den europäischen Fonds für regionale Entwicklung an. Dieser hält für Bereiche wie Forschung und Innovation oder digitale Agenda finanzielle Mittel bereit. Der Fonds möchte grundsätzlich Ungleichheiten zwischen verschiedenen Regionen durch gezielte Investitionen beseitigen. In Nordrhein-Westfalen werden EFRE-Gelder dazu benutzt, Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen zu schaffen sowie Forschung und technologische Entwicklung voranzutreiben. → https://ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/erdf
Bundesverband deutscher Innovationszentren (BVIZ): Der Verband ist eine gute Anlaufstelle, um Kontakte und Adressen von Gründerportalen in den Bundesländern zu finden. Wer Tipps und Informationen zum Thema Existenzgründung sucht, liegt hier goldrichtig. → https://www.innovationszentren.de
Business Angels Netzwerk Deutschland (BAND): Die Business Angels verstehen sich als zentrale Anlaufstelle für alle Existenzgründer, die Kapital, Kontakte und Know-how suchen. → https://www.business-angels.de
Die Begeisterung für die jungen Existenzgründer sollte jedoch nicht den Blick auf die Realität trüben: Der Weg vom Geistesblitz im Labor über das Business-Konzept am Whiteboard bis zu einer funktionierenden Firma ist steinig. Das gilt besonders für den Bereich Wissenschaft. Hier dauert es lange, bis wissenschaftliche Erkenntnisse sich als Geschäftsidee realisieren lassen. Man denke nur an die langwierigen Prüf- und Genehmigungsverfahren im medizinischen Bereich.
Umso wichtiger ist es, dass die Existenzgründer einige Ratschläge beachten. Sie müssen zum Beispiel frühzeitig die Rechte an Patenten klären. Klappt es mit dem Unternehmen nicht, dann könnte wenigstens die Weiterlizenzierung der Patente Einnahmen erbringen. Es empfiehlt sich zudem, frühzeitig Kontakt zu Business-Netzwerken und Gründerinitiativen aufzubauen. Hier kann man Gedanken austauschen, Business-Know-how erwerben und sich zudem rechtlich beraten lassen.
Ausgründungen aus der Wissenschaft werden von Bundesländern und Hochschulen systematisch forciert. Erste Schwerpunktbeiträge im MittelstandsWiki widmen sich den Scientepreneuren in Bayern und Baden-Württemberg, speziell den KI-Start-ups rund um die TU München; danach geht die Forschungsreise Richtung Nordrhein-Westfalen. Weitere Reports zu diesem Thema sind bereits in Vorbereitung.
Keine Angst vor dem Pitch
Experten beobachten immer wieder, dass Studenten aus dem wissenschaftlichen Bereich allzu sehr darauf vertrauen, dass sich eine gute Idee von allein durchsetzt. Tut sie meist nicht. Workshops oder Seminare, die zeigen, wie man seine Geschäftsidee im berüchtigten Elevator Pitch so vermittelt, dass auch der Investor Beifall klatscht, gelten als wichtige Hilfe.
Dass Existenzgründer einen guten Plan in der Tasche haben sollten, ist klar. Doch es gilt auch die alte Lebensweisheit der Pessimisten: Es dauert immer länger, als man denkt, es wird immer teurer, als man denkt, und es funktioniert nie so, wie man denkt. Erfolgreiche Existenzgründer wissen das und begreifen die Gründungsphase als lebendigen und dynamischen Prozess, bei dem man jederzeit bereit sein muss, die Strategie zu ändern oder das Produkt zu wechseln. Wer flexibel bleibt und sich von Rückschlägen nicht aus der Ruhe bringen lässt, hat gute Chancen, dass sich am Ende Erfolg einstellt. Dann haben sich all die Mühen gelohnt. Denn die zu Beginn erwähnten Ideen und neuen Geschäftsmodelle bringen am Ende nicht nur Geld, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft ein Stück weiter.
Spannende Spin-offs
LED-Shirt: Calumia (Duisburg). An der Universität Duisburg-Essen entstand die Calumia AG. Die Ausgründung vermietet T-Shirts, die mit einer LED-Matrix mit 441 einzeln ansteuerbaren LEDs versehen sind. Diese werden von einer Smartphone-App programmiert. So erscheint auf dem T-Shirt beispielsweise ein rotierendes Logo, eine bunte GIF-Animation, eine bewegte Grafik oder ein Lauftext. Eingesetzt wird das etwa bei einer Projektvorstellung, einem Produktlaunch oder einem Kundenevent. Man muss nur zu Beginn der Veranstaltung den Play-Button auf dem Smartphone antippen. → https://calumia.com
Die Dortmunder Comnovo GmbH gründeten Dr. Andreas Lewandowski, Dominik Gerstel und Volker Köster aus der TU Dortmund heraus. 2017 wurde das Spin-off von Linde Material Handling gekauft. (Bild: Comnovo)
Vorsicht, Gabelstapler: Comnovo (Dortmund). Ein Fahrzeugortungssystem, das Menschen in Gebäuden oder Lagerhallen vor herannahenden Fahrzeugen warnt, hat das Start-up Comnovo entwickelt. Das System arbeitet mit hohen Funkfrequenzen, die auch Tore, Ladungen oder Mauern durchdringen. Auch Assistenzsysteme zur effizienten Steuerung von Industriefahrzeugen lassen sich damit realisieren. Comnovo war ursprünglich eine Ausgründung der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Dortmund. → https://www.comnovo.de
Proteine isolieren: Dalex Biotech (Bonn). Im Zeichen der Coronakrise stehen Unternehmen mit dem Know-how von Dalex Biotech hoch im Kurs. David Frommholz und Alexandra Ehl, Biologie-Absolventen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, haben ein Verfahren entwickelt, das die Zeit für die Isolierung von Proteinen von drei Stunden auf zehn bis fünfzehn Minuten reduziert. Die Isolierung von Proteinen, etwa in Antikörpern, gehört in medizinischen Laboren zu den Standardprozeduren bei Tests. Finanziell gefördert wurde die Ausgründung von der Gründungsförderung des Wissenschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen. → https://dalex-biotech.com
Flugtaxi: e.SAT (Aachen). Über Flugtaxis werden gern Witze gerissen, aber vielleicht kommen sie doch noch. Das Tech-Start-up e.Sat jedenfalls glaubt daran. Das Silent Air Taxi soll bis zu vier Passagiere mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern über eine Distanz von maximal tausend Kilometern befördern. Entwickelt wurde das leise Flugtaxi am RWTH Aachen Campus in Kooperation mit der RWTH Aachen University und der FH Aachen. Das Start-up e.Sat wurde 2018 gegründet, die erste Musterzulassung erwartet das Unternehmen 2024. → https://e-sat.de/de
Blockchain-Gurus: Kryptonauten (Siegen). Vier ehemalige Studenten der Universität Siegen betreiben eine Online-Community, die als Wissensplattform dabei helfen soll, Wissen zu komplexen Themen wie Blockchain oder Bitcoin zu vermitteln. Die Kryptonauten sind auch auf Kanälen wie YouTube, WhatsApp und Telegram aktiv. Zugleich wollen die Macher die Entwicklung im Blockchain-Bereich in den nächsten Jahren mitgestalten. Ihren genauen Plan verraten sie noch nicht, aber in Sachen Know-how sind sie schon mal ganz vorne mit dabei. → http://kryptonauten.net
Satellitenplattform: Levity Space (Aachen). Durch die Kommerzialisierung der Raumfahrt steigt der Druck, Satelliten schnell und kostengünstig ins All zu bringen. Levity Space, eine Ausgründung der FH Aachen, verfolgt das Ziel, mit einer standardisierten Satellitenplattform die Einstiegshürde für Weltraummissionen zu senken. Vor allem die wachsende Zahl der sogenannten Microsatelliten soll dadurch leichter ins All kommen und sogar höhere Umlaufbahnen erreichen. → http://levityspacesystems.eu
Datenberater: Logarithmo (Dortmund). Das Dortmunder Start-up Logarithmo hat sich auf das Metier der Datenanalyse spezialisiert und stellt datenbasierte Services für den Energiesektor, produzierende Unternehmen und die Logistik zur Verfügung. Die Software hierfür besteht aus „mathematischen Toolboxen“. Damit entstehen webbasierte Anwendungen, mit denen beispielsweise ein Energieversorger Entgelte für die Stromnetznutzung individuell berechnen kann. → https://www.logarithmo.de
E-Scooter: PLEV Technologies (Köln). An der TH Köln entstand die Idee zu Steereon, dem ersten allradgelenkten E-Scooter der Welt. Neben dem dank Allradlenkung besonders wendigen Fahrverhalten ist der Scooter laut Hersteller PLEV Technologies GmbH besonders leicht und außerdem faltbar. So leistet der E-Scooter einen Beitrag zur E-Mobilität in der Stadt. Das Team besteht aus drei Gründern, einem Berater, einem Mentor und zwei freiwilligen Helfern. Unterstützt wurde das Start-up von der TH Köln, dem Land NRW und dem EU-Förderprogramm EFRE „Start-up-Hochschulausgründungen NRW“. → https://www.steereon.com
Virtuelles Bier: Public Brewing (Düsseldorf). Um ein richtiges Start-up handelt es sich bei Public Brewing nicht, sondern „nur“ um ein Projekt im Rahmen einer Masterarbeit an der FH Düsseldorf. Das Projekt demonstriert aber, welches kreative Potenzial in Hochschulen schlummert. Public Brewing ist eine multimediale Fassadeninstallation. Der Besucher kann an einem Schaltpult sein eigenes Bier brauen, indem er verschiedene Knöpfe und Regler bedient. Das Bild auf der Fassade zeigt dazu, was gerade beim Brauen passiert. Am Ende kommt eine echte Flasche Bier aus dem Schaltpult heraus. Prost! → http://www.publicbrewing.de
3D-Konfigurator: Redplant (Düsseldorf). Das Spin-off Redplant entstand im Medien-Fachbereich der Hochschule Düsseldorf. Am Anfang stand ein 3D-Konfigurator für Segeljachten. Seit 2011 gilt das Redplant Realtime Studio als erfolgreicher Dienstleister für Produktpräsentation mithilfe einer Echtzeit-3D-Software. Auch Lernanwendungen, Präsentationen oder Spiele lassen sich mit der Software visualisieren. → https://redplant.de
Smart Factory: Semasquare (Bochum). Für Industrieunternehmen, die ihren Maschinenpark weiter benutzen wollen, aber gleichzeitig Anschluss an die digitalen Lösungen von Industrie 4.0 suchen, ist das vielleicht genau das Richtige: eine Kommunikationsschnittstelle zur Vernetzung aller Systeme, Maschinen und Prozesse in der Produktion. Genau das leistet die Software des Start-ups Semasquare und sorgt gleichzeitig für eine „vollständige Datenerhebung“ aus der Produktion. Mit diesen Daten wiederum lässt sich der Produktionsablauf optimieren und effizienter steuern. Semasquare ist eine Ausgründung der Hochschule Bochum. Die Gründung wurde durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. → https://www.semasquare.com
IT-Sicherheit: Skymatic (Bonn). Schon 2016 hatte der Cryptomator in der IT-Branche für Aufsehen gesorgt. Die Open-Source-Software schützt sensible Daten in Diensten wie Dropbox oder OneDrive. Dazu wird ein verschlüsseltes Laufwerk im Cloud-Speicher erstellt. Das Passwort dafür besitzt nur der Benutzer. Erdacht wurde die Software von Sebastian Stenzel und Tobias Hagemann, Absolventen des Informatikstudiums an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Deren Start-up Skymatic ist heute mit IT-Sicherheitslösungen erfolgreich. → https://skymatic.de