Spin-offs aus der Forschung
Von Mehmet Toprak
Die Zukunft sieht rosig aus. Diesen Eindruck gewinnt man schnell, wenn man sich die Geschäftsideen der jungen Gründer ansieht, die derzeit an deutschen Hochschulen, Universitäten und Fachhochschulen als Spin-off in die Wirtschaft starten. Die Ausgründungen beschäftigen sich mit Themen wie Schadstoffmessung oder ressourcensparende Fertigung, kümmern sich um das Angebot regionaler Lebensmittel, entwickeln nachhaltige Gebäudetechnik oder verbessern Hygienestandards in der Alten- und Krankenpflege.
Das sind nur einige wenige Beispiele für Einfälle, die in den Business-Plänen der Spin-offs stehen. Die an ökologischer Nachhaltigkeit interessierten Studenten nutzen dabei alle Technologien, die die Wissenschaftler-Community als entscheidende Forschungsfelder der Zukunft sieht: Blockchain, künstliche Intelligenz, Biotech und Gesundheit, Industrie 4.0, erneuerbare Energien und Mobilität – wir finden hier alle Trends.
Genau darin liegt ja auch ein Vorteil der Ausgründungen: Während etablierte Unternehmen oftmals Schwierigkeiten haben, sich auf Marktveränderungen einzustellen und manchmal selbst mit der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse ihre liebe Not haben, fangen Spin-offs frisch an und setzen von vornherein auf neueste Technologien. Nicht anders läuft das in den Bundesländern Hessen, Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland (PLZ-Gebiete 6, 7, 8 und 9), deren Spin-off-Szene sich die Redaktion für diesen Artikel angesehen hat.
Förderung durch die Hochschulen
Universitäten, Fachhochschulen oder technische Hochschulen unterstützen ihre Spin-offs nach Kräften. Sie haben ein Interesse daran, den Wissenstransfer zur praktischen Anwendung zu unterstützen. Fast jede Uni verfügt über eine Förderinitiative für Ausgründungen. Spötter werden über die hohe Buzzword- und Anglizismendichte lästern, mit denen altehrwürdige Bildungsinstitutionen ihre Förderprogramme anpreisen: Innovation Camp, Inkubator Connect, Matchmaking, Bootcamp, Digital Café, Summer School, Entrepreneurship, Networking oder Kick-off. Gründer, die aus der Wissenschaft heraus ein Unternehmen gründen, heißen dementsprechend Scientrepreneure. Auf gut Deutsch: wissenschaftliche Unternehmer.
Auch wenn sich die Schlagwörter am Zeitgeist orientieren: Die jungen Firmengründer erhalten Hilfe. Studenten oder Absolventen, die mit einem guten Pitch und einer noch besseren Geschäftsidee einen Platz in den Förderprogrammen ergattern, erhalten eine anständige Beratung. Zunächst wird der Business-Plan unter die Lupe genommen. Dann beraten Experten beim Aufbau des Unternehmens mit allen dazugehörigen Aspekten wie Produktstrategie, Personalplanung, Vertrieb und Marketing. Daneben werden die Gründer zu Network-Veranstaltungen eingeladen, bei denen sie mögliche Investoren oder künftige Geschäftspartner kennenlernen oder mit Experten Know-how und Erfahrungen austauschen.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen bereits verfügbaren Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Geld gibt es auch. Das kommt in der Regel nicht von der Universität selbst, sondern von Stipendien und Förderprogrammen. Diese werden von der Bundesregierung, den Landesregierungen oder Business-Angel-Initiativen der Industrie aufgelegt (siehe Kasten). Üppig fallen die Förderbeträge nicht aus. Doch die 1000 Euro monatlich, die man beispielsweise beim Förderprogramm Exist der Bundesregierung als noch eingeschriebener Student erhält, helfen zumindest, dass man keinen Nebenjob übernehmen muss. So kann die gesamte Energie in den Aufbau eines Betriebs fließen.
Förderprogramme, Stipendien, Hilfen
In vielen Bundesländern helfen Gründerinitiativen den Spin-offs bei der Realisierung ihrer Geschäftsidee – mit Beratung und oft auch mit Geld.
Exist: Das Förderprogramm Exist ist sicher die bekannteste Initiative. Das Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gilt im gesamten Bundesgebiet und wird auch durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. Es steht Studierenden vor und nach Abschluss des Studiums sowie den Wissenschaftlern an Hochschulen zur Verfügung. Voraussetzung ist eine Gründungsidee, die ein „Alleinstellungsmerkmal aufweist und sich auf innovative Technologien oder wissensbasierte Projekte bezieht“. Bei der Förderung erhalten promovierte Gründer ein Jahr lang 3000 Euro monatlich. Wer noch studiert, kann mit 1000 Euro rechnen. Den Antrag stellt nicht der Gründer selbst, sondern immer die jeweilige Hochschule. Wer ein Exist-Gründerstipendium bezieht, sich dabei am Ende der Förderungsphase befindet und durch die Corona-Krise in eine finanzielle Notlage geraten ist, kann eine Verlängerung des Stipendiums beantragen. Die Förderung wird dann gegebenenfalls um bis zu drei Monate aufgestockt. Das Angebot galt allerdings nur für Projekte, die bis zum 31. Oktober 2020 enden würden. Wer das nicht beanspruchen kann, weil etwa die Frist verstrichen ist, kann sich aber immer noch an den Projektträger, das Forschungszentrum Jülich, wenden, um individuelle Maßnahmen zu besprechen. → www.exist.de
Deutschland startet: Die bundesweite Initiative fördert neben Start-ups auch bestehende Unternehmen. Zusätzlich zur Beratung organisiert die Initiative auch Kontakte zu Investoren und Kreditgebern. Die Initiative wird wesentlich von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen vorangetrieben, aber auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und der KfW-Bankengruppe unterstützt. Ebenfalls an Bord: das Expertennetzwerk Deutschland, ein Netzwerk von Gründungsberatern. → https://www.deutschland-startet.de
Hessen Ideen Stipendium: Das sechsmonatige Stipendienprogramm unterstützt Absolventen oder Angehörige der Hochschule, die versuchen, ihre vielversprechende Geschäftsidee umzusetzen. Die Stipendiaten bekommen bis zu 2000 Euro pro Monat. Dazu gibt es ein Coaching und Qualifizierungsprogramme. Bei Workshops und Netzwerkveranstaltungen knüpfen die Gründer Kontakt zu Branchenexperten und Unternehmen. → https://hessen-ideen.de/stipendium
Saarland Offensive für Gründung: Ein regionales Netzwerk für das Saarland, das Gründer beim Sprung in die Selbstständigkeit unterstützt. → https://gruenden.saarland.de
Gründerzentrum Digitalisierung Niederbayern: Ein Verbundprojekt der Standorte Passau, Landshut und Deggendorf. Eine hochwertige digitale Infrastruktur soll Existenzgründern auf die Sprünge helfen. Daneben gibt es ein Mentoren- und Coaching-Programm sowie Netzwerkaktivitäten. Letztere sollen den Wissenstransfer im Bereich Digitalisierung zwischen der Universität, den Hochschulen, den Unternehmen und Start-ups fördern. → https://www.gzdn.de
Harte Arbeit und Flexibilität
Trotz aller Beratungstermine, Stipendien und Networking-Events bleibt die Gründung eines Spin-offs ein arbeitsintensives und riskantes Unterfangen. Markus Müller, Sales Manager beim Hightech-Unternehmen ZS-Handling, einem ausgereiften Spin-off der TU München, das auf die berührungslose Handhabung mit Ultraschall spezialisiert ist, drückt das zurückhaltend aus: „Die Zeit nach der Gründung war arbeitsintensiv.“ Er rät jungen Unternehmern, nicht nur auf die Produktentwicklung zu achten, sondern „schon vorab ausreichend qualifizierte Vertriebskanäle sicherzustellen“. Daneben sollte man einige Qualitäten mitbringen, die auch sonst im Berufsleben hilfreich sind: Selbstbewusstsein, Organisationstalent, Durchhaltevermögen, Entscheidungsstärke, Kritikfähigkeit und nicht zuletzt hohe Flexibilität. Wenn der Business-Plan nicht so klappt, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat, sollte man den Kurs schnell ändern können.
Die berührungslose Handhabung per Ultraschalllager ermöglicht eine vollständig reibungslose Handling von empfindlichen Werkstücken unter Reinraumbedingungen, etwa mit dem MicroLevi-Greifer für die Halbleiterfertigung und die Elektronikindustrie. (Bild: ZS-Handling GmbH)
Ausgründungen aus Hochschulen existieren schon länger. Bereits 1995 entstand an der Universität Erlangen-Nürnberg das heute noch aktive IT-Beratungsunternehmen Mathema. An derselben Universität entstand im Jahr 2000 der erfolgreiche Medizintechnikspezialist Bio-Gate. Eines der berühmtesten Spin-offs formierte sich ebenfalls 2000 an der Universität Tübingen: Curevac ist derzeit in aller Munde, da es an einem Impfstoff gegen das Coronavirus arbeitet. Wenn es den Scientrepreneuren der Gegenwart mit ihren Firmen gelingt, ebenso positive Impulse zu setzen, dann könnte die Zukunft tatsächlich gut aussehen.
Ausgründungen aus der Wissenschaft werden von Bundesländern und Hochschulen systematisch forciert. Erste Schwerpunktbeiträge im MittelstandsWiki widmen sich den Scientepreneuren in Bayern und Baden-Württemberg, speziell den KI-Start-ups rund um die TU München; danach geht die Forschungsreise Richtung Nordrhein-Westfalen. Weitere Reports zu diesem Thema sind bereits in Vorbereitung.
Zwölf coole Spin-offs
Nicht nur in den Großstädten entstehen Ausgründungen. Auch kleinere Städte und Universitäten sind aktiv – hier eine Auswahl spannender Spin-offs aus Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und dem Saarland:
Goethe-Universität Frankfurt: Geomon – Das Unternehmen bietet Dienstleistungen rund um alles, was Geodaten betrifft. Dazu zählen das Überfliegen von Bauprojekten oder Deponien mit Drohnen, die Bearbeitung von Geodaten in geografischen Informationssystemen und die Visualisierung der aufbereiteten Geodaten, etwa in farbigen 3D-Bildern. → http://www.geomon.info
TU Darmstadt: ee concept – Die Firma unterstützt Bauherren dabei, neue Objekte möglichst umweltfreundlich und nachhaltig zu planen. Sie entwickelt Energiekonzepte für Gebäude oder ganze Quartiere und optimiert die gesamte Gebäudetechnik. Auch Aspekte wie Baubiologie und effizienter Materialeinsatz finden Berücksichtigung. → https://www.ee-concept.de
Universität des Saarlandes: Testfabrik – Das Spin-off hat eine Automatisierungsplattform entwickelt, die das Testen von Desktop-Software, Smartphone-Apps und Web-Anwendungen optimiert. → www.testfabrik.com
Universität Heidelberg: Airyx – Die Ausgründung hat sich auf transportable Messgeräte für Gase spezialisiert. Die optische Messtechnik registriert die Konzentration von Gasen wie Formaldehyd, Ozon und Schwefeldioxid. Die Technik kommt beispielsweise bei der Emissionsmessung von Fahrzeugen zum Einsatz. → https://airyx.de
Hochschule für Technik Stuttgart: Ventecon – Die Software von Ventecon arbeitet mit künstlicher Intelligenz und hilft Unternehmen, ihr Marktumfeld zu analysieren, zu strukturieren und zu bewerten. Die Ergebnisse werden grafisch aufbereitet. → www.ventecon.de
Universität Tübingen: Computomics – Das Spin-off aus Tübingen beschäftigt sich mit der Analyse der Erbgutsequenzen von Pflanzen. Das schafft die Voraussetzung, die Pflanzen gezielt im Hinblick auf bestimmte gewünschte Eigenschaften wie etwa Stressresistenz zu kreuzen. → https://computomics.com
Hochschule Karlsruhe: Risklayer – Das 2017 gegründete Spin-off gilt als Spezialist für die Analyse und Einschätzung von Risiken im Zusammenhang mit Krisen und Naturkatastrophen. Das Ziel besteht darin, effektive Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge zu implementieren. → http://risklayer.com/en
Die Corona-Panedmie hat Risklayer zu enormer Bekanntheit verholfen. Bei der Datenalyse zur Risikobewertung kooperiert das Karlsruher Spin-off u.a. mit dem Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) des KIT. Daraus wiederum speisen sich z.B. die Darstellungen der Johns-Hopkins-Universität. (Bild: Risklayer)
Universität Erlangen-Nürnberg: Bio-Gate – Das Unternehmen ist im Bereich Health und Medizintechnik tätig. Es bietet antimikrobielle und antivirale Lösungen für hygienesensitive Anwendungen in Medizintechnik, Pflege oder Kosmetik. → https://www.bio-gate.de
TU München: ZS-Handling – Dieses Spin-off entwickelte eine Technologie, mit der Bauteile kontaktfrei bewegt werden können. Dies geschieht, indem die das Bauteil umgebende Luft durch Ultraschall verdichtet wird. Ein Anwendungsbeispiel ist die Halbleiterfertigung, bei der die empfindlichen Chips und Wafers berührungslos bewegt werden. → https://www.zs-handling.com/de
Bauhaus-Universität Weimar: TB – Der Name fungiert nur als Arbeitstitel, denn TB befindet sich noch in der Gründungsphase. Ziel des am 1. September 2020 gestarteten Gründungsvorhabens ist ein universales All-in-One-Eingabegerät für Computernutzer. Das soll die Komplexität am Arbeitsplatz reduzieren und damit Arbeitsabläufe vereinfachen. Ein erster Prototyp soll im Herbst 2021 erscheinen. → https://www.uni-weimar.de
Direkt aus der Gründerwerkstatt neudeli der Bauhaus-Universität Weimar: Seit 1. September 2020 sind Anton Brams, Philip Mewes und Sergej Nejman Exist-Gründerstipendiaten. Als Nächstes steht nun der serienreiferPrototyp ihres All-in-One-Eingabegeräts an. (Bild: neudeli – Bauhaus-Universität Weimar)
Universität Passau: Regiothek – Das 2017 gegründete Spin-off des Lehrstuhls für Data Science präsentiert die Lebensmittel regionaler Anbieter auf einer Plattform. Die Kunden können den Ursprung der Produkte bis ins Detail nachvollziehen. Das soll ressourcenschonende Stoffkreisläufe etablieren und die lokale Wertschöpfung stärken. → https://www.regiothek.de
Universität Würzburg: Emqopter – Die Ausgründung der Uni Würzburg baut Drohnen für den professionellen Einsatz, darunter eine komplett autonome Lieferdrohne für den Einsatz in Gewerbe und Industrie. Auch ein Multikopter mit schwenkbarem Greifarm, der sich als ferngesteuerter Werkzeugroboter nutzen lässt, befindet sich im Angebot. → https://www.qopter.de