Arbeit ist nicht gleich Arbeit
Von Sabine Wagner
Im Fall meines selbstständigen Mandanten, der nach unglücklich verwirkter Bewährung seine Freiheitsstrafe antreten musste, waren wir am Ende von Teil 1 dabei, einen Antrag auf Freigang zu stellen, um das Geschäft noch irgendwie fortzuführen – eine Möglichkeit, die ausdrücklich auch Selbstständigen eingeräumt wird. Der erste Haken an der Sache ist die Zeit.
Das „sofort“ im Formblatt zum Freigang bedeutet in der Realität alles andere als einen Freigang innerhalb von wenigen Tagen. Zum Aufnahmeverfahren in der Vollzugsanstalt gehört die Einholung sämtlicher relevanter Akten aus dem Strafverfahren/den Strafverfahren sowie eine Abfrage, ob weitere Strafverfahren einschließlich Ordnungswidrigkeiten gegen den Inhaftierten laufen. Schließlich die Erstellung eines Vollzugsplanes. Man ahnt, dass dies Wochen dauern kann.
Im vorliegenden Fall meinte der stellvertretende Leiter der Vollzugsanstalt, dass Selbstständige so gut wie keine Chance auf Freigang haben, wenn sie nicht wie ein Arbeitnehmer geregelte Arbeitszeiten an immer demselben Arbeitsort hätten. In allen anderen Fällen sei eine Überwachung des Freigängers – ob dieser tatsächlich zur Arbeit gefahren ist und dort arbeitet – gar nicht möglich. Er legte in unserem Fall dringend nahe, noch einmal zu versuchen, ob der Haftantritt nicht im Gnadenwege vermieden werden könne. Er wies auch darauf hin, dass der Fall in manchen norddeutschen Bundesländern leichter, da pragmatisch gelöst werden könne, da diese großzügigere Regelungen hätten und damit flexibler seien. Ein Umzug in ein flexibleres Bundesland kam vorliegend aufgrund der Art der Selbstständigkeit aber gerade nicht in Betracht.
Gnadengesuch ohne Aussicht
Also ein Gnadengesuch. Dieses wurde an das zuständige Justizministerium geschickt, mit dem Ziel, zusammen mit den Behörden eine andere Art der Bestrafung festzulegen. Darin wurden die Gründe angeführt, die für eine Begnadigung sprachen, angefangen von der Reue meines Mandanten über die Gefährdung der Existenz meines Mandanten bis hin zu dessen eindeutig guter Sozialprognose. Am Ende des Gesuchs wurde um Entscheidung bzgl. der Aussetzung der Vollstreckung der Haftstrafe gebeten.
Teil 1 beginnt mit einem Realbeispiel und einem dummerweise versäumten Haftantritt. Teil 2 schildert den weiteren Verlauf und sagt, was in solchen Fällen in vorletzter Sekunde noch zu tun bleibt.
Das Justizministerium leitete das Gnadengesuch umgehend an die Staatsanwaltschaft weiter, die als Vollstreckungsbehörde für den konkreten Fall zuständig ist, also an die Staatsanwaltschaft des Amtsgerichts, an dem das Strafverfahren stattgefunden hatte. Der Leiter der Staatsanwaltschaft spricht dann eine Empfehlung aus, ob dem Gnadengesuch stattgegeben werden soll oder nicht, und leitet diese zurück an das Justizministerium. Im Anschluss daran trifft das Ministerium seine Entscheidung. In der Regel folgt es dabei der Empfehlung. So Wochen später auch im vorliegenden Fall.
Die Aussetzung der Vollstreckung der Haftstrafe wurde im vorliegenden Fall abgelehnt: Das Gnadengesuch habe keine Aussicht auf Erfolg, da mein Mandant nicht gnadenwürdig sei. Er habe die Dramatik der Bewährung nicht erkannt und damit selbst zu vertreten, dass er seine Existenz gefährdet. Eine Begnadigung wäre im Einzelfall nur denkbar, wenn mein Mandant schwer erkrankt wäre. Alle anderen Fälle seien nicht durch Rechtsprechung gedeckt und damit ausgeschlossen.
In vorliegenden Fall bleibt jetzt nur noch
- der geordnete Haftantritt in meiner anwaltlichen Begleitung,
- ein Antrag auf Freigang und
- zum gegebenen Zeitpunkt ein Antrag auf Haftverschonung des letzten Drittels der Strafe, was eine gute Führung meines Mandanten voraussetzt.
Fazit: Kommunikation suchen, Unterstützung holen
Im Rückblick ist festzustellen, dass sich dieser Fall alles andere als ideal zugetragen hat. Das muss aber nicht notwendig immer so sein. Was also hätte wann anders laufen müssen?
- Den Bewährungshelfer rechtzeitig auf das Problem ansprechen.
- Gemeinsam auf das zuständige Amtsgericht zugehen und ein Sanktionskonzept erarbeiten und legalisieren, das den Bedürfnissen aller Beteiligten Rechnung trägt.
- Jeden Wohnungswechsel melden.
- Für den Fall, dass die beiden ersten Punkte nicht angegangen wurden: Umgehend einen Rechtsanwalt einschalten, sobald der Widerruf der Aussetzung der Bewährung zugegangen ist. Wichtig: Noch am selben Tag einen Termin mit dem Rechtsanwalt ausmachen! Denn dieser muss Akteneinsicht nehmen, was Zeit in Anspruch nimmt. Also nicht erst am letzten Tag der Frist sich dazu entschließen, doch einen Rechtsanwalt einzuschalten!
Und noch ein Tipp, falls es bei Ihnen schon fünf nach zwölf ist: Setzen Sie sich sofort hin und arbeiten Sie einen Plan aus, der festlegt, was gelten soll, wenn Sie von einer Sekunde auf die andere verhaftet werden. Denn wenn dieser Fall eintritt, haben Sie keine Zeit mehr, dies zu organisieren. Denken Sie dabei auch an Vollmachten, an den Zugang zu abgeschlossenen Räumen, Interimsmanagement etc.
Nützliche Links
Artikel 13 und 17.1 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (Bay StVollzG) sowie die Verwaltungsvorschriften zu Artikel 13 (Bay StVollzG) regeln den Freigang in bayerischen Gefängnissen.