Silicon Saxony: Wo die nächste Chipfabrik entsteht

Angesichts wachsender Abhängigkeiten von Unternehmen in Asien orientieren sich die großen Chip-Hersteller wieder verstärkt nach Europa. Davon profitiert auch die Cluster-Region Silicon Saxony im Norden von Dresden. Zuletzt ging das Intel-Großprojekt zur Halbleiterfertigung allerdings an Magdeburg.

Mit Volldampf mehr Halbleiter

Von Roland Freist

Als im Zuge der Corona-Pandemie die internationalen Lieferketten an vielen Stellen unterbrochen wurden, führte das bei der europäischen Automobilproduktion zu schmerzhaften Produktionsausfällen. Auch bei Volkswagen, BMW, Mercedes, Audi und Opel rollten in der Folge deutlich weniger Wagen vom Band. Den Produzenten wurde mit einem Mal vor Augen geführt, wie abhängig sie mittlerweile von Halbleiterfirmen vor allem in Taiwan und Südkorea sind.

Ohne die winzigen Chips aus Asien läuft bei modernen Fahrzeugen nichts mehr. Elektronische Steuerungen haben an zahlreichen Stellen die Kontrolle über das Fahrverhalten und die Sicherheitssysteme übernommen. Sie sind aus dem Auto ebenso wenig wegzudenken wie Lenkrad oder Bremsen. Wenn der Nachschub an dieser Stelle stockt, bekommt das die Automobilindustrie sofort zu spüren. Aber auch die Hersteller von Computer- und Netzwerktechnik oder von Fernsehern, Radios und Kameras mussten in den vergangenen Monaten ihre Lieferzeiten wegen der Chip-Knappheit erheblich verlängern.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Es besteht sogar die Gefahr, dass durch die Verlagerung der Chip-Produktion mit der Zeit das zugehörige Know-how verloren geht. Die Fertigung in Fernost mag billiger sein, schafft aber auch Abhängigkeiten. Verlieren die Europäer den Anschluss an die technische Entwicklung in diesem Bereich, so dürften die Kosten längerfristig gewaltig sein. Denn Abhängigkeit ist teuer, das hat neben der Industrie mittlerweile auch die EU-Kommission erkannt. Sie will nun entschlossen gegensteuern. Im Februar 2022 stellte die Kommission ein Chip-Gesetz vor, ein 43 Milliarden Euro starkes Förderprogramm für die europäische Chip-Industrie. Bis 2030 soll damit der Anteil europäischer Firmen an der weltweiten Chip-Produktion von aktuell 10 auf 20 % verdoppelt werden.

Aber auch ohne dieses Förderprogramm ist die europäische und vor allem die deutsche Chip-Produktion im Aufwind. Vor allem das sogenannte Silicon Saxony, ein Cluster von Mikroelektronikherstellern im Norden von Dresden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant entwickelt.

Ursprünge in der DDR

Warum Dresden? Bereits 1961 wurde in Wilschdorf im Dresdner Bezirk Klotzsche die Arbeitsstelle für Molekularelektronik (AME) gegründet, das führende Institut der DDR zur Erforschung der Halbleitertechnik. Nach mehreren Umbenennungen und Fusionierungen entstand daraus Ende der 1980er Jahre das VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD), das 1988 den ersten 1-MBit-Speicherchip der DDR vorstellte. Allerdings gelang es bis 1990 nicht, eine Serienfertigung aufzubauen. Zu dieser Zeit hatte das Forschungszentrum rund 3000 Beschäftigte.

In den folgenden Jahren erlebte ZMD eine wechselvolle Geschichte, wurde mehrfach verkauft und umbenannt. Heute ist die Firma Teil des japanischen Konzerns Renesas Electronics und firmiert unter dem Namen Renesas Electronics Germany GmbH, immer noch am alten Standort in der Nähe des Flughafens.

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Rund 1 Milliarde Euro investiert Bosch in die Halbleiterfabrik mit 300-mm-Fertigungstechnologie am Standort Dresden. Die Produktion ist nicht nur für KI-Anwendungen gedacht, sondern selbst bereits KI-optimiert. (Bild: Bosch)

Als nach der Wiedervereinigung deutsche und internationale Elektronikunternehmen nach Standorten im Osten Deutschlands suchten, fiel die Wahl schnell auf Dresden. Dort hatte nicht nur ZMD seinen Sitz, mit der TU Dresden gab es in der Stadt auch eine ausgezeichnete Hochschule, die nach 1990 eine rasante Entwicklung verzeichnete und heute zu den elf Exzellenzuniversitäten Deutschlands zählt. 1991 wurden unter anderem die Fakultät Informatik und die Fakultät Elektrotechnik gegründet.

1994 eröffnete darüber hinaus Siemens in Dresden einen Standort für die Halbleiterfertigung. Heute gehört das Werk zu Infineon und beschäftigt rund 2700 Mitarbeiter. Laut Infineon ist die Dresdner Niederlassung einer der modernsten und größten Standorte für Fertigung, Technik- und Produktentwicklung des Konzerns.

Weitere Unternehmen folgten. 1996 gründete der US-amerikanische Konzern Advanced Micro Devices (AMD) in Dresden die Tochterfirma AMD Saxony LLC & Co. KG und baute ein Werk für die Prozessorfertigung. Es folgte ein zweites Werk, das im Oktober 2005 die Produktion aufnahm. Im Jahr 2009 trennte sich AMD von den beiden Fabriken und gab sie an die neu gegründete GlobalFoundries Inc. weiter. GlobalFoundries ist ein reiner Auftragsfertiger, der Wafer für verschiedene Unternehmen produziert. Mit 3000 Mitarbeitern ist die Firma aktuell der größte Vertreter der Mikroelektronik in Dresden.

Nach und nach siedelten sich weitere Firmen aus der Mikroelektronik- und Halbleiterbranche sowie auch etliche Zulieferer in und um Dresden an. Aktuell baut der Automobilzulieferer Bosch in einem 2021 eröffneten Werk eine Fertigung für 300-mm-Wafer auf, die ersten Chips sollen Mitte 2022 an den Handel gehen. Die Firma will in Dresden bis zu 700 Mitarbeiter beschäftigen.

Dazu ist eine Reihe von Forschungsinstituten nach Dresden gekommen, u.a. sechs Fraunhofer Institute, die entweder ganz oder mit einzelnen Institutsteilen in der Stadt angesiedelt sind, sowie das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).

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„Ohne Chips kein digitaler Wandel, kein ökologischer Wandel, keine technologische Führungsposition“, begründete EU-Kommissar Thierry Breton das Chip-Gesetz. Es soll 43 Milliarden Euro „in Form von öffentlichen und privaten Investitionen“ aufbringen, damit will die EU den gegenwärtigen Halbleiter-Marktanteil bis 2030 auf 20 % bringen. (Bild: EU-Kommission – Audiovisueller Dienst)

Ein neuer Branchenverband

Nach der ersten Welle der Ansiedlungen im Bereich der Mikroelektronik entstand sehr schnell die Idee zur Gründung eines Branchenverbands. Kurt Drescher, bis zu seiner Emeritierung 1998 Professor für Halbleitertechnik und Direktor des Instituts für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik in Dresden, gründete im Jahr 2000 zu diesem Zweck den Verein Silicon Saxony und wurde dessen erster Vorsitzender. Der Name wurde 1998 von einem Journalisten des Time Magazine erfunden, der damit auf das kalifornische Silicon Valley südlich von San Francisco anspielte, das Zentrum der amerikanischen Chip-Industrie.

Parallel zur Entwicklung rund um Dresden gewann auch der Verein schnell Unterstützer. Heute zählen 390 Hersteller, Zulieferer, Dienstleister, Hochschulen/Universitäten, Forschungsinstitute, öffentliche Einrichtungen und branchenrelevante Start-ups zu seinen Mitgliedern. Silicon Saxony ist damit das größte Hightech-Netzwerk Sachsens und einer der größten Mikroelektronik- und IT-Cluster sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa.

Die Bezeichnung „Silicon Saxony“ steht jedoch nicht nur im engeren Sinne für den Verein, sondern auch für die gesamte Region Dresden-Freiberg-Chemnitz. Dort arbeiten heute in etwa 2500 Firmen rund 70.000 Angestellte auf den Gebieten Mikro- und Nanoelektronik, organische Elektronik (elektronische Schaltungen aus elektrisch leitfähigen Polymeren oder organischen Verbindungen), 5G und taktiles Internet (in Echtzeit reagierende Internet-Anwendungen), MEMS (mikroelektromechanische Systeme, Sensortechnik im Chipformat) und Automatisierungstechnik. Nicht alle davon sind mit Hardware beschäftigt, erklärt Frank Bösenberg, der Vorsitzende von Silicon Saxony e.V.: „Tatsächlich sind von den 70.000 Angestellten auch 30.000, die in der Software-Industrie arbeiten“, sagt er.

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Natürlich durfte der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert nicht fehlen, als der Verein Silicon Saxony 2021 sein 20-jähriges Bestehen feierte. (Bild: Silicon Saxony e.V.)

Silicon Saxony ist damit der größte Standort für Mikroelektronik sowie Informations- und Kommunikationstechnik in Europa und der fünftgrößte weltweit. Mittlerweile kommt jeder dritte in Europa gefertigte Chip aus dem sächsischen Silicon Valley, und das mit steigender Tendenz. Das stärkt die Widerstandskraft gegenüber Handelshemmnissen wie z.B. der Pandemie. Aber auch für den Fall von Sanktionsmaßnahmen, wie sie etwa der amerikanische Präsident Donald Trump während seiner Amtszeit erließ, und gegen Störungen der Lieferketten durch Naturkatastrophen wie etwa Überschwemmungen wollen sowohl die Hersteller wie auch die Großkunden aus der Automobilindustrie und anderen Branchen in Zukunft besser gewappnet sein.

Intel kommt nach Magdeburg

Auch Intel, gemessen am Umsatz der größte Halbleiterproduzent weltweit, will sich bei seinen Investitionen in neue Fertigungskapazitäten in den kommenden Jahren stärker auf Europa konzentrieren. In diesem Zuge kündigte Vorstandschef Pat Gelsinger 2021 zwei neue Fabriken in Deutschland an. Der Konzern will dafür rund 17 Milliarden Euro investieren, im Rahmen des europäischen Chips Act wird voraussichtlich eine Fördersumme in einer Höhe zwischen 5 und 8 Milliarden Euro fließen. Bislang unterhielt Intel in Europa lediglich ein Werk im irischen Leixlip unweit der Hauptstadt Dublin.

Monatelang hatte Intel mögliche Standorte untersucht, in die engere Wahl kamen das bayerische Penzing in der Nähe von Landsberg, Magdeburg und das Silicon Saxony. Obwohl viele Analysten mit einer Ansiedlung in Dresden gerechnet hatten, entschied sich Intel Anfang März 2022 für einen Standort im Magdeburger Gewerbegebiet Eulenberg. Ausschlaggebend seien das große verfügbare Bauland in zentraler Lage und die gute Anbindung an Autobahnen und Flughäfen gewesen, hinzu sei die Nähe zu größeren Städten wie Berlin, Hannover und Leipzig gekommen. Aber auch der gute Ruf der Otto-von-Guericke-Universität sei in die Entscheidung eingeflossen, sagt Christin Eisenschmid, die Deutschland-Chefin von Intel. Der Konzern hat in Magdeburg eine Fläche von 450 ha reserviert, in Dresden stand ein solch großes Gebiet mit der erforderlichen Anbindung nicht zur Verfügung.

Baubeginn soll jetzt 2023 sein, der Produktionsstart ist für 2027 geplant. Für die erste Ausbaustufe der Magdeburger Werke sucht Intel rund 3000 Mitarbeiter. Später könnte die Zahl der Beschäftigten auf bis zu 10.000 steigen.

Die Investitionspläne von Intel zeigen, dass sich die großen, international tätigen Chip-Fertiger zunehmend auf Regionen mit hochqualifizierten Fachkräften und guter Infrastruktur in Europa konzentrieren. Im Zuge dessen haben auch neue Standorte abseits der etablierten Zentren eine Chance. Dresden und das Silicon Saxony werden es verschmerzen können, dass dieses Mal ein Konkurrent das Rennen gemacht hat. Zudem hat sich bereits ein neuer Interessent angekündigt: Die taiwanische Firma TSMC, der größte Chip-Auftragsfertiger der Welt, sucht aktuell einen Standort für sein erstes europäisches Werk. Auch Penzing und Dresden würden dabei untersucht, hieß es.

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Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikations­­wissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vater­­stetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stell­­vertretenden Chef­­redakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computer­­zeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezial­­gebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netz­­werke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.


Redaktionsbüro Roland Freist, Fritz-Winter-Str. 3, 80807 München, Tel.: (089) 62 14 65 84, roland@freist.de

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