HAMR und Mach.2
Von Ariane Rüdiger
Mach.2 ist eigentlich ein Begriff aus der Luft- und Raumfahrttechnik; er bezeichnet die doppelte Schallgeschwindigkeit. Bei Seagate allerdings ist damit die Verdopplung der Ein-/Ausgabetransaktionen pro Sekunde durch zwei gleichzeitig arbeitende Aktuatoren (statt einem einzigen) gemeint. In den derzeit bei Testkunden im Einsatz befindlichen Mach.2-HDDs stecken zwei Spindeln, die jeweils 7 TByte speichern, macht insgesamt 14 TByte. 2020 soll der neue Festplattentyp für den breiten Markt erhältlich sein.
Seagate in Poleposition
Die zweite innovative Speichertechnologie im Festplattenbereich, die unmittelbar vor der Marktreife steht, heißt HAMR (Heat-assisted Magnetic Recording). Auch hier ist Seagate mit ersten Geräten für OEM-Testkunden dabei. Darunter dürfte auch der eine oder andere Cloud-Hyperscaler sein. Bei HAMR ist der Schreib-Lesekopf, der mit Lasertechnologie arbeitet, nur noch so groß wie ein Salzkorn.
Ein HAMR-Laufwerk kann heute auf seinen acht Scheiben 4 TByte speichern. Henrique Atzkern, zuständig für den technischen Support bei Profikunden, hat die Platten auf Seagates Pressepräsentation in München präsentiert. „Bis 2020 können wir, wenn die Kapazität pro Platte auf 3 TByte steigt, schon über 20 TByte unterbringen. Langfristig sind auf einer Spindel sogar 100 TByte möglich“, meint er.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „Rechenzentren und Infrastruktur“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Rivale Western Digital hat dagegen für 2019 die Verfügbarkeit der ersten MAMR-Festplattenlaufwerke (Microwave-assisted Magnetic Recording) angekündigt. Maximal 18 TByte Speicherkapazität sollen sie bringen, Tendenz mit dem Zeitablauf nach oben. Auch Toshiba setzt auf MAMR, um die Kapazitätsgrenzen des bisherigen Perpendicular Recording hinauszuwachsen.
Wenig bis nichts hört man dagegen von grundsätzlich neuen Speichertechnologien wie dem Memristor (HPE) oder Racetrack Memory (IBM). Vielleicht kommen sie irgendwann doch als Medium für generell im Profibereich einsetzbare Speichersysteme. Im Moment jedenfalls sind sie nur für Spezialapplikationen interessant.
Die Festplatte bleibt dominant
Doch warum überhaupt um Festplatten kümmern? Werden sie nicht ganz einfach von NAND-Speicher in seinen unterschiedlichen Varianten hinweggespült? Machen nicht die inzwischen mögliche Mehrfachnutzung jeder Speicherzelle und die dadurch realisierbaren höheren Kapazitäten die Weiterentwicklung der Harddisk obsolet?
Installed Storage by Media Type: Die Festplatte bleibt Datenträger Nr. 1. (Bild: Seagate/IDC)
Wer das glaubt, irrt wahrscheinlich: Die HDD soll bis auf Weiteres das dominante Speichermedium bleiben. So sieht es zumindest IDC in einer Studie zum weltweiten Datenvolumen und zum Speichermarkt vom Januar 2019, die von Seagate in Auftrag gegeben wurde („The EMEA Datasphere: Rapid Growth and Migration to the Edge“). Die Ergebnisse wurden unter anderem auf die Region EMEA heruntergebrochen. Der Studie zufolge haben SSD, NVMe und andere NAND-Einsatzmöglichkeiten auch 2025 das Nachsehen gegenüber den guten alten Festplatten. Deren Preis-Leistungsverhältnis erweist sich, so sehen es jedenfalls die Autoren der Studie, als bis auf Weiteres unschlagbar. Auch Tape und Optical sind offenbar unausrottbar, wenn auch auf Nischen beschränkt. Ob das tatsächlich stimmt, wird man an den Daten in fünf Jahren sehen.
Mehr Nutzer, mehr Daten
Nun zum EMEA-Datenvolumen: Es soll sich von 2018 bis 2025 von 9,5 Zettabyte auf 48,3 Zettabyte mehr als verfünffachen. Die jährliche durchschnittliche Datenwachstumsrate liegt laut IDC in dieser Phase bei 26,1 %. Der Anteil an der globalen Datenmenge wird 2025 27,6 % betragen, heute ist er noch geringfügig höher.
Zum Wachstum der Datenerzeugung trage in EMEA schlicht und einfach vor allem der Zuwachs an neuen Nutzern bei, sagt IDC. Denn zu dieser Region gehören auch die Räume Mittlerer Osten und Afrika (MEA), die derzeit noch nicht so stark entwickelt sind, aber viel Potenzial haben. Während im industrialisierten West- und Mitteleuropa im Schnitt 86 % der Menschen und im weltweiten Durchschnitt etwas über 50 % das Internet nutzen, sind es in MEA bislang nur 31 %. Der große Rest sei bislang sozusagen datenabstinent, was aller Voraussicht nach aber nicht so bleiben wird.
Das Datenvolumen in Europa wächst auch in den kommenden Jahren stark. (Bild: Seagate/IDC)
Ein Drittel der EMEA-Datenerzeugung entfällt laut Studie auf Applikationen wie Videoüberwachung, IoT-Signale, Metadaten und Unterhaltung. Gegenüber Unterhaltung (vom Katzenfoto bis zum Streamingvideo in Profiqualität) werden inzwischen professionelle Anwendungen wichtiger. Der Anteil von Unternehmensdaten an der gesamten Datensphäre betrug IDC zufolge 2015 in EMEA noch 42 % – 2025 sollen es bereits 58 % sein. Weil Daten für Firmen anscheinend immer wichtiger werden, konstatiert die Studie, dass 43 % der Organisationen in EMEA die Kapitalisierung dieses Produktionsfaktors zu einer Aufgabe ersten Ranges erklärten. Zwangsläufig ergibt sich daraus der logische Schluss, dass RZ-Betreiber, ob nun extern oder intern, mehr denn je Storage-Technologien im Auge behalten müssen.
Im Detail wird sich das Datenvolumen für Unterhaltungszwecke in EMEA von 2018 bis 2025 rund versiebenfachen, gleichzeitig wird aber sein Anteil am Gesamtdatenvolumen in dieser Region von 54 auf 36 % fallen. Exponentiell wachsen sollen IoT-Daten und andere produktivitätsfördernde Datentypen. Hyperkritische Daten, also zum Beispiel aus dem autonomen Verkehr oder aus Sicherheitsanwendungen wie der Gesichtserkennung, legen laut IDC 32 % jährlich zu. Absoluter Wachstumsspitzenreiter aber sind die Daten, die mit analytischen Algorithmen bearbeitet werden – ihr durchschnittliches jährliches Plus bis 2025 beziffert IDC auf 68 %, sagt allerdings sehr viel weniger deutlich, dass deren Anteil heute erst im unteren einstelligen Bereich liegt. Dass neue Technologien am Anfang durchaus mit dreistelligen Prozentraten wachsen können, ist ja nichts Neues.
Beispiel Fertigungsindustrie
Interessant dürfte gerade für hiesige Leserinnen und Leser die Analyse der Datenentwicklung in der Fertigungsindustrie sein, da sich Deutschland besonders auf das Thema Industrie 4.0 fokussiert. IDC präsentiert allerdings hier nur Daten für die ganze Welt: Wenig überraschend steigt das Datenvolumen in der produzierenden Industrie stark an. Im Lauf des Jahres 2025 sollen rund 22 Zettabyte Daten anfallen. Das ist mehr als eine Vervierfachung gegenüber 2019. Dabei nehmen schützenswerte und Echtzeitdaten besonders stark zu. Zudem legen die IDC-Daten nahe, dass Unternehmen in Cloud, Edge und IoT, also Themen, die einen engen Bezug zu steigenden Datenmengen haben, überdurchschnittlich investieren.
Aus solchen Entwicklungen können auch neue Geschäftsmodelle werden. IDC zitiert hier beispielsweise Siemens, wo man einerseits Daten nutzen will, um Produkte und ihren Gebrauch zu optimieren. Andererseits sollen aber auch Daten oder durch ihre Analyse gewonnene Informationsprodukte gewinnbringend an die Kundschaft gebracht werden.
Datenentwicklung in ausgewählten Bereichen der herstellenden Industrie | |||
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CAGR 2018–2025 | Anteil der Gesamtdaten, produzierende Industrie 2018 | Anteil der Gesamtdaten produzierende Industrie 2025 | |
Sicherheitsbedürftige Daten | 30 % | 80 % | 82 % |
Echtzeitdaten | 36 % | 32 % | 43 % |
Kritische Daten | 37 % | 7 % | 10 % |
Analytische Daten | 51 % | 1 % | 3 % |
Hyperkritische Daten | 51 % | 0 % | 1 % |
KI-Daten | 63 % | 0 % | 0 % |
(Quelle: IDC/Seagate)
Beispiel Finanzbranche
Für die Finanzindustrie zeichnen die IDC-Autoren folgendes Bild: Das weltweite Datenvolumen soll von 2018/19, wo es die 2-Zettabyte-Grenze überschreitet, auf über 10 Zettabyte 2025 ansteigen. Am stärksten wächst laut Studie in der Finanzindustrie das Segment der KI-Daten mit 60 %, Analytikdaten legen um 48 % jährlich zu. Ihr Anteil am Gesamtdatenvolumen dieser Branche soll aber auch 2025 nur im unteren einstelligen Bereich liegen, es handelt sich also um das übliche steile Wachstum neuer Technologien von einer winzigen Basis aus. Sicherungsbedürftige Daten sollen sich nicht mehr ganz so stark vermehren, aber 2025 mit 88 % (2018: 81 %) den Löwenanteil des Gesamtdatenvolumens der Branche ausmachen.
Finanzunternehmen sind laut Studie übrigens misstrauischer als andere, was die Cloud angeht. So geben 35 % an, weniger als ein Viertel ihrer Daten in der Cloud zu speichern, 14 % nutzten die Cloud gar nicht. Investitionsbereitschaft bestehe, so die Untersuchung, demzufolge auch weniger bei Cloud-Technologien, dafür um so stärker bei IoT, Big Data und Analytics sowie Blockchain.
Die Finanzindustrie ist dort, wo Unternehmen das Datenthema ernst nehmen, offenbar besser imstande, die Daten, die gesichert und geschützt werden sollten, auch tatsächlich zu schützen, nämlich 71 % des sicherungsbedürftigen Datenmaterials. Das möge auch an der strengen Regulierung der Branche liegen, glaubt IDC. Genauso sei die Finanzbranche anderen überlegen darin, das zukünftige Datenwachstum treffend einzuschätzen.
Das meiste wird doch gelöscht
Niemand sollte aber annehmen, alle erzeugten Daten würden permanent gespeichert. Allein rund 29 % des Gesamtdatenvolumens aller Branchen sollen laut IDC 2025 Echtzeitdaten sein (2015: 12 %). Volumenmäßig ist das 25-mal mehr als 2015. Solche Daten werden sofort ausgewertet und dann meist nicht länger benötigt. Permanent gehalten werden laut IDC in EMEA heute nur rund 15 % des Gesamtdatenvolumens, 2025 sollen es sogar nur noch 8 % sein. Der Rest wird unmittelbar nach Verarbeitung gelöscht. Bleibt zu hoffen, dass hier immer die richtigen Entscheidungen fallen.
Zudem wandern laut IDC die zu speichernden Daten immer öfter in die Cloud. Der Anteil der in der Cloud gespeicherten Bytes soll laut IDC-Prognose zwischen 2015 und 2025 von 4 auf 42 % steigen. Dabei bewirke der Trend zur Multicloud, die laut IDC bereits 90 % der europäischen Unternehmen einsetzen, dass Daten eines Verantwortlichen mehr denn je an unterschiedlichen Orten gespeichert werden.
Gleichzeitig sind sich laut Untersuchung nur wenige Unternehmen sicher, dass ihre Multicloud-Umgebungen und die darin enthaltenen Daten gut genug gemanagt werden, um sie beispielsweise effektiv zu analysieren – und dies, obwohl der Anteil schutzbedürftiger Daten branchenübergreifend bis 2025 auf 66 % steigen soll, 10 % mehr als 2018. Nur die Hälfte dieser Daten werde laut IDC tatsächlich geschützt werden, worin das Marktforschungsunternehmen ein weiteres Problemfeld neben dem Multicloud-Datenmanagement sieht. Den Daten- und Storage-Verantwortlichen in den Unternehmen und Dienstleistungsrechenzentren dürfte es also auch in den kommenden Jahren kaum langweilig werden.