Umweltsensorik: Wer Feinstaub auf eigene Faust misst

Je mehr Messstellen und Messungen, desto besser die Datenbasis. An der Schnittstelle von Eigeninteresse und Citizen Science hat speziell die Luftqualität viele Interessierte angezogen, die wissen wollen, wie hoch die Feinstaub- und Schadstoffbelastung vor Ort ist. Einfache Geräte gibt es als Bausatz.

Dicke Luft – aber wie dick genau?

Von Michael Praschma

Luftqualitätssensoren (LQS), so heißen die Geräte, denen das Umweltbundesamt 2023 eine immerhin knapp 60-seitige Broschüre gewidmet hat. Es geht darin um Möglichkeiten, Grenzen und Hinweise zum Gebrauch dieser Sensoren. Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon sind die wichtigsten Schadstoffe in der Luft. Sie wirken sich auf die Atemwege, den Kreislauf, den Stoffwechsel und auf die Entwicklung von Kleinkindern aus. Emissionen bzw. Grenzwerte sollen auf Initiative von WHO und EU sinken – Stichwort „Green Deal“. In Deutschland stellt das Immissionsschutzgesetz ein wesentliches Regulativ dar. Es betrifft auch die Überwachung der Luftqualität.

Messungen ermöglichen Maßnahmen

Eine gezielte Verbesserung der Luftqualität setzt voraus, dass überhaupt genaue Informationen über den Zustand der Außenluft vorliegen. Gut 500 amtliche Luftmessstationen liefern Echtzeitdaten dazu. Damit gäbe es allerdings im Durchschnitt nur eine Messstelle auf über 700 km². Das wünscht man sich genauer. Und kostengünstiger. Denn diese sogenannten Referenzklasse-Geräte gibt es erst ab etwa 15.000 Euro.

Genau deshalb spielen LQS-Geräte eine wichtige Rolle. Sie sind einfach aufgebaut und bestehen meist aus drei Komponenten: einem Rezeptor, der die eigentliche Messung ermöglicht, einem Wandler, der dieses Messergebnis zu einem elektrischen Signal macht, und schließlich einem Signalprozessor, der dieses Signal interpretierbar macht. Die Peripherie des Geräts sorgt dann für die Stromversorgung sowie die Datenspeicherung und -weiterleitung.

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Schwarz auf Weiß
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Wer sich mit den Messmethoden und Prinzipien der Sensorsysteme auch technisch auseinandersetzen will, muss partikel- und gasförmige Luftverunreinigungen unterscheiden und Begriffe wie gravimetrische Staubmessung oder amperometrische Gassensoren lernen. Für einfache Citizen Scientists läge das aber schon im Bereich gesteigerter Leidenschaft. Geeignet sind LQS-Geräte generell als Ergänzung zu den amtlichen Messgeräten. Bei entsprechender Messgenauigkeit und mit regelmäßigen Qualitätskontrollen können sie durchaus in behördliche Netze integriert werden.

LQS – die Spezialisten der Luftmessung

Die Einsatzschwerpunkte von LQS-Geräten sind in der Praxis vielfältiger als die amtlichen Messgeräte, die vorwiegend dazu dienen, Immissionswerte dort festzustellen, wo sich viele Menschen aufhalten. Rund um bekannte starke Emissionsquellen können Luftqualitätssensoren die Verteilung von Verunreinigungen feststellen, oft spezialisiert auf einzelne Parameter wie z.B. Stickstoffdioxid. Als mobile Geräte können sie dazu dienen, die individuelle Belastung einzelner Personen zu registrieren, ähnlich wie bei Dosimetern, die Beschäftigte in nuklearen Anlagen mitführen, um ihre Strahlenexposition festzuhalten. Die Messung in Innenräumen, sowohl im privaten wie im öffentlichen oder im gewerblichen Bereich, ergänzen die Außenmessungen dort, wo sich Menschen häufig über längere Zeit aufhalten und daher der Schutz vor gesundheitlichen Belastungen besonders wichtig ist. Und als Ausrüstung für Drohnen erlauben LQS wissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Stadtklima und Luftschichtung, außerdem den Nachweis von punktuellen Emissionen z.B. bei Betriebsunfällen, Bränden usw.

Bei allen Einsatzgebieten von LQS-Geräten sollte man sich dessen bewusst sein, dass Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Alterung der Sensoren etc. zu Messfehlern führen können. Diese lassen sich durch Referenzmessungen, Kontrollen und Kalibrierung eingrenzen.

Wichtig ist, wo gemessen wird

Der Standort der Messstation ist dabei entscheidend. Schon bei einem Thermometer ist klar, dass die angezeigte Temperatur wesentlich von der Platzierung abhängt. Bei der Messung der Luftqualität ist das nicht anders. Mobil mitgeführte LQS-Geräte, bei denen sich viele Einflussfaktoren gar nicht ausschalten lassen, liefern daher nur eher relative Daten zur Schadstoffbelastung.

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Einkaufsliste, Aufbauanleitung, Konfiguration und Registrierung im Datennetzwerk – alles, was man für einen Feinstaubsensor im Eigenbau braucht, findet man bei der Sensor.Community. (Bild: Sensor.Community, gemeinfrei (CC0 1.0))

Die Robustheit der Ergebnisse von stationären Messstationen vor allem im Außenbereich lässt sich dagegen mit einigen Maßnahmen deutlich steigern. Dazu sollte man zunächst dafür sorgen, dass das Gerät vor Sonne, Niederschlag und starkem Wind sowie vor Insekten geschützt ist. Meist eignet sich dafür ein entsprechend aufgebautes Gehäuse, das freistehend und in 1,5 m Mindestabstand vom Boden platziert ist. Auch „harmlose“ Emissionsquellen wie Lüftungsschächte sollten sich nicht in der Nähe befinden. Das Oberflächenmaterial des Gehäuses sollte sich nicht statisch aufladen können. Weitere Maßnahmen zur Qualitätssicherung hängen u.a. davon ab, welche Parameter überhaupt gemessen werden.

Wenn die Messdaten in ein Netzwerk eingespeist werden, z.B. bei Community-Projekten, ist die Qualitätssicherung besonders wichtig, weil fehlerbehaftete Messungen den Wert der gesamten Ergebnisse vermindern. Um dies weitestgehend zu vermeiden, werden u.a. die Geräteinformationen, die aktuellen meteorologischen sowie umweltbezogenen Daten gesammelt und in einem nachprüfbaren Messprotokoll erfasst.

Stuttgart zum Beispiel

Nehmen wir die baden-württembergische Landeshauptstadt als Beispiel. Stuttgart mit seiner Talkessellage hatte schon im 19. Jahrhundert keinen guten Ruf, was die Luftqualität betrifft. Smog- und Feinstaubalarm waren ein heißes Thema, ebenso Fahrverbote und Citymaut. Die Luftqualität hat sich seit dem ersten Smogalarm 1982 deutlich verbessert. Heute werden die Grenzwerte der Feinstaubbelastung eingehalten, das gilt ebenso für NO₂ (Stickstoffdioxid).

Vor diesem Hintergrund ist aber in der Bevölkerung das Interesse am Thema Luftqualität nach wie vor hoch. Die Menschen wollen, etwa bei der Wohnungssuche, erfahren, wie es in bestimmten Wohngegenden um die Luft bestellt ist. Schließlich geht es um die eigene Gesundheit.

Der Stuttgarter Zeitung waren Bürgermessungen schon vor Jahren eine Story wert: Weil sich die Feinstaubbelastung im Stadtgebiet nur grob feststellen lässt, eher an Verkehrsknotenpunkten als engmaschig in der Fläche, hatte eine Gruppe einen Bausatz aus handelsüblichem Elektrozubehör sowie einem Sensor aus Klimaanlagen zusammengestellt. Der Aufwand: 30 Euro und rund eine Stunde Arbeit, fertig ist das Equipment zur Feinstaubmessung. Die Daten können per WLAN und Internet minütlich an eine zentrale Datenbank gesendet werden. Inzwischen ist die Initiative mit dem Netzwerk Sensor.Community gekoppelt. Auf der Website lassen sich z.B. für Deutschland die Daten von knapp 8000 Sensoren auslesen, auffindbar über eine interaktive Karte.

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Die Sensor.Community erfasst Messungen aus 81 Ländern weltweit, der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig auf Europa und dort besonders auf Deutschland. (Bild: Sensor.Community)

Geförderte Bürgerwissenschaft

Initiativen wie diese werden heute intensiv gefördert, u.a. über die Citizen-Science-Plattform „mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen“, besser bekannt unter dem früheren Namen „Bürger schaffen Wissen“. Die jährliche Fachkonferenz, das Forum Citizen Science, findet 2024 unter dem Motto „Mit:Wirkung“ in Hamburg statt. Abgesehen von den Projektpräsentationen werden dort auch Fördermöglichkeiten, z.B. über eine Stiftung, vorgestellt, es gibt eine Arbeitsgruppe für Citizen-Science-Projekte in der Schule und einen Förderwettbewerb mit dem Thema „Citizen Science in deiner Stadt“.

Und es gibt ein aktuelles Beispiel zur Messung der Luftqualität. Den Rahmen bot das europäische Projekt COMPAIR. Mit zwei Schwerpunkten sollten zwischen Juni 2023 und Mai 2024 die Auswirkungen von Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung auf Verkehr und Luftqualität sowie Belastungshotspots herausgefunden werden – einmal durch die Beteiligten in verschiedenen Kiezen, zum anderen mobil von Radfahrern auf ihren Pendelwegen in ganz Berlin.

Die Teilnehmer wurden dazu in Workshops nicht nur über die Bedeutung der Luftqualität informiert, sondern erhielten auch eine Einführung in die Handhabung der Sensoren und Datenplattformen. Vorwissen war nicht erforderlich. Die Daten lassen sich mit dem eigenen Laptop oder Smartphone verfolgen; mobile Sensoren kommen z.B. an den Fahrradlenker, statische werden am Fenster oder Balkon der Wohnung befestigt.

Zweck der Übung ist es, der Senatsverwaltung bessere Daten zu liefern, damit diese den Bedarf (und die Wirksamkeit) von Mobilitätsmaßnahmen einschätzen kann. Das soll hauptsächlich über zwei Plattformen passieren: Das Policy Monitoring Dashboard (PMD) visualisiert die Auswirkungen von Mobilitätsmaßnahmen auf die Luftqualität und den Verkehr; die Ergebnisse der mobilen Messungen werden auf dem Dynamic Exposure Visualisation Dashboard (DEV-D) dargestellt. Eingebettet ist das Ganze wiederum in den größeren Citizen-Science-Zusammenhang der übrigen COMPAIR-Länder, zu denen Bulgarien, Belgien (Flandern) und Griechenland zählen.

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Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/

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