Stammkapital bis zur Eintragung
Von Sabine Wagner
Mit Urteil vom 10. Dezember 2013 (Az. II ZR 53/12) hat der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals erklärt, dass die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung auch auf eine Gesellschaft in der Liquidation anwendbar sein können. Das bedeutet: Auch in diesem Fall ist die Haftung des Gesellschafters nunmehr zeitlich und der Höhe nach begrenzt auf die sogenannte Unterbilanzhaftung. Er steht nicht für sämtliche Verbindlichkeiten des Unternehmens gerade, sondern nur für die Vollständigkeit des Stammkapitals zum Neugründungszeitpunkt.
Aufgelöst, verkauft und neu gestartet
Dem Urteil des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde:
- Die GmbH wurde 2002 gegründet und im Handelsregister als „S. GmbH“ eingetragen. Die Auflösung der Gesellschaft erfolgte Ende 2004. Der Alleingesellschafter wurde zum Liquidator bestellt. Im Geschäftsjahr 2005 ruhte der Geschäftsbetrieb. Die Fortsetzung der Gesellschaft wurde Anfang 2006 beschlossen. Die Aufnahme des Geschäftsbetriebs erfolgte im April 2006. Hierbei trat der bisherige Alleingesellschafter seinen Geschäftsanteil an die Beklagte ab. In der Gesellschafterversammlung wurde beschlossen, die Firma in „W. T. GmbH“ zu ändern. Dem Registergericht wurde keine wirtschaftliche Neugründung angezeigt. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde Ende 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm die Beklagte auf Ausgleich der zum Zeitpunkt der Eröffnung der Insolvenz gegebenen Unterbilanz in Anspruch.
Zur Erinnerung: In Deutschland wird unterschieden zwischen der eingetragenen und voll geschäftsfähigen GmbH und ihrer Vorform, der GmbH in Gründung. Die (Gründungs-)Gesellschafter haften dafür, dass der Geschäftsführung bei der Registereintragung die geleisteten Mindesteinlagen aus dem Stamm- bzw. Grundkapital vollständig zur Verfügung stehen. Das ist die sogenannte Unterbilanzhaftung. (Sie ist nicht gesetzlich fixiert, folgt aber aus einer gefestigten Rechtsprechung.)
Unternehmen auf Vorrat
Kompliziert sind Fälle wie der vorliegende, in denen keine reine Neugründung vorliegt. Hier gilt zunächst: Unter wirtschaftliche Neugründungen fallen auch sogenannte Vorrats- oder Mantelgesellschaften, d.h. Gesellschaften, die bereits im Handelsregister eingetragen sind, aber für eine gewisse Zeit kein aktives Geschäft mehr betrieben haben und dann wiederbelebt werden.
Bereits in der Vergangenheit hatte der BGH entschieden, dass eine Begrenzung auf die Unterbilanzhaftung in den Fällen gilt, in denen dem Registergericht die wirtschaftliche Neugründung offengelegt wurde. Die Höhe der Unterbilanzhaftung ergibt sich insoweit aus der Unterbilanz zum Zeitpunkt der Offenlegung.
Stichtag ohne Offenlegung
Erschwerend kommt im Beispiel jedoch hinzu, dass dem Registergericht keine wirtschaftliche Neugründung angezeigt wurde. Hier gilt seit 2012, dass die Gesellschafter auch bei einer unterlassenen Offenlegung weder zeitlich noch der Höhe nach unbegrenzt auf Verlustdeckung haften. Auch hier kommt also die Unterbilanzhaftung zum Tragen.
Relevanter Zeitpunkt ist dabei (anstelle der unterbliebenen Offenlegung) das Datum des wirtschaftlichen Neustarts: z.B. das Datum der Satzungsänderung oder der Zeitpunkt der Aufnahme von wirtschaftlichen Tätigkeiten mit Außenwirkung.
Bei fehlender Offenlegung trägt der Gesellschafter bzw. tragen die Gesellschafter die Beweislast für das Vorliegen der geleisteten Mindesteinlagen zum Zeitpunkt des wirtschaftlichen Neustarts. Und: Liegt eine Unterdeckung zum Zeitpunkt des wirtschaftlichen Neustarts vor, ist – wie im vorliegenden Fall – der Erwerber der Geschäftsanteile zum Ausgleich der Unterdeckung verpflichtet.
Fazit: Garantie im Beteilungsvertrag
Wer Geschäftsanteile erwirbt, sollte diesen Punkt im Vorfeld also unbedingt vollständig klären. Gut ist eine vertragliche Regelung in Form einer Garantie, dass die Mindesteinlagen erbracht sind und dies auch für den Zeitpunkt des Übergangs des Geschäftsanteils sichergestellt wird, verbunden mit einer Freistellungsklausel für den Fall, dass doch eine Unterbilanz vorliegt.
Eine wirtschaftliche Neugründung liegt auch dann vor, wenn nach der Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs zumindest teilweise die gleiche Art von Geschäften betrieben wird wie zuvor.
Auf eine in Liquidation befindliche Gesellschaft finden die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung nur dann Anwendung, wenn eine sogenannte Vorratsgesellschaft vorliegt, weil die Abwicklung der Gesellschaft über einen längeren Zeitraum nicht mehr betrieben wurde. Der BGH versteht Fälle, in denen in der Auflösung nennenswerte Maßnahmen zur Abwicklung der Gesellschaft erfolgen, mangels Vorratsgesellschaft nicht als wirtschaftliche Neugründungen.