Verwandte ohne Stimmrecht sind ein Rentenrisiko
Von Sabine Wagner
Wieder einmal geht es um die Arbeitnehmereigenschaft, also um die Frage, ob jemand rechtlich als Arbeitnehmer anzusehen ist oder nicht. Ein Irrtum kann Firmen teuer zu stehen kommen, weil er versicherungsrechtlich mit heftigen Nachforderungen verbunden ist. Man kennt das von der Problematik der Scheinselbstständigkeit her. Besonders bitter ist das bei Familienmitgliedern, die als Minderheitsgesellschafter an einem „Familienunternehmen mit der Gesellschaftsform GmbH“ beteiligt sind.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mit seinem Urteil vom 29. August 2012 (Az. B 12 KR 25/10 R) Familienmitglieder, die als Minderheitsgesellschafter an einem Familienunternehmen beteiligt sind, als versicherungspflichtige Beschäftigte eingestuft. In vollem Umfang werden die Konsequenzen dieses Urteils wohl erst im Laufe des Jahres 2016 zutage treten.
Ungleiche Nachforderungen
Zum 31. Dezember 2016 verjähren nämlich die Ansprüche der Deutschen Rentenversicherung (DRV) auf Nachforderung der mit diesem Urteil verbundenen Gesamtversicherungsbeiträge, sofern die vierjährige Regelverjährung greift. Realistisch ist darum anzunehmen, dass die DRV in diesem Jahr noch möglichst viele Altfälle bearbeitet und dabei besonders genau hinschaut.
Das finanzielle Risiko für eine GmbH, die Familienmitglieder als Minderheitsgesellschafter bislang als versicherungsfrei eingestuft hat, liegt darin, dass die DRV Unternehmen für einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen kann. Das Unternehmen dagegen kann den Arbeitnehmeranteil gegenüber dem Arbeitnehmer nur für die letzten drei Monate geltend machen.
Ob ein Unternehmen, das eine GmbH ist, damit rechnen muss, dass es 2016 von der DRV noch in Anspruch genommen wird, hängt davon ab, ob Familienmitglieder als Minderheitsgesellschafter beteiligt sind. Als Minderheitsgesellschafter sind Familienmitglieder am Unternehmen beteiligt, wenn sie Anteile an der Gesellschaft von weniger als 50 % halten. Die Minderheitsbeteiligung hat zur Folge, dass diese Gesellschafter durch ihr Stimmrecht keinen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können. Sie gelten daher als Arbeitnehmer und wären rentenversicherungspflichtig.
Typische Fallstricke
Durch das Urteil des Bundessozialgerichts werden auch Minderheitsgesellschafter als Arbeitnehmer angesehen, die im Unternehmen die alleinigen Träger von Know-how und Branchenkenntnissen sind. Unbeachtlich ist für das BSG auch die Argumentation mit der freien Einteilung der Arbeitszeit; auch dass ist kein Indiz für Selbstständigkeit. Das Kriterium „freie Zeiteinteilung“ ist zunehmend nicht geeignet, um festzustellen, ob eine selbstständige Tätigkeit vorliegt oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Flexible Arbeitszeiten sind heute auch in Unternehmen die Regel.
Unternehmen, die im Gesellschaftsvertrag eine Stimmrechtsbindung aufgenommen haben, müssen keine Nachforderungen der DRV befürchten. Die DRV hat diesen Punkt selbst in mehreren Musterverfahren geklärt, so etwa am BSG mit Urteil u.a. vom 11. November 2015, (Az. B 12 R 2/14). Dagegen kann die DRV Unternehmen, die lediglich einen Stimmbindungsvertrag mit dem Minderheitsgesellschafter abgeschlossen haben, 2016 weiterhin auf Zahlung von Nachforderungen in Anspruch nehmen.
Praktischer Tipp: Besser ohne Stimmrechtsbindung
Stimmrechtsbindung bedeutet, dass die Gesellschafter nur einstimmig Beschlüsse fassen, ganz gleich, welche Anteile sie jeweils an der Gesellschaft haben. Damit wird auch für den Minderheitsgesellschafter die Rechtsmacht, die er eigentlich nicht hat, wieder hergestellt. Aufgrund meiner Berufserfahrung rate ich dringend von solchen Regelungen in einem Gesellschaftsvertrag ab. Sobald sich die Gesellschafter nicht mehr verstehen – und dies kann man nie ausschließen –, hat der Gesellschaftsvertrag mit dieser Stimmrechtsbindung das Unternehmen in eine Situation gebracht, die dessen Existenz im schlimmsten Fall bedrohen kann.
Auch hier hilft wieder das Statusfeststellungsverfahren der Clearingstelle der DRV. Bitte bedenken Sie dabei, dass Ihr Unternehmen für den Fall, dass eine Versicherungspflicht bejaht wird, mit enormen Nachforderungen zu rechnen hat. Der Bescheid der DRV ergeht dann noch 2016, sodass keine Einrede der Verjährung erhoben werden kann.
Wichtig: Für Geschäftsführer besteht nach § 43 GmbHG eine Pflicht zu klären bzw. durch einen Experten klären zu lassen, ob der Gesellschaftervertrag eine solche Klausel enthält. Als Geschäftsführer besteht die Verpflichtung, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Im Schadensfall kann die Gesellschaft vom Geschäftsführer verlangen, dass er den entstandenen Schaden ersetzt.
Fazit: Minderheitsgesellschafter prüfen
2016 sollte eine Vielzahl von Unternehmen ihre Gesellschafterstruktur unter die Lupe nehmen, am besten mit anwaltlicher Unterstützung. Keinesfalls sollte man sich auf „ähnlich gelagerte“ Fälle verlassen; dazu ist erstens das finanzielle Risiko nachzuzahlender Rentenbeiträge einfach zu groß, zweitens sind die juristischen Feinheiten entscheidend. Tatsächlich greift das BSG-Urteil von 2012 in mehr Fällen, als die meisten vermuten:
- Das Urteil gilt nicht nur für die GmbH, sondern auch für weitere Gesellschaftsformen.
- Ferner kann das Urteil für Geschäftsführer (UG, GmbH, GmbH & Co. KG) gelten, die am Unternehmen mit einer Beteiligung von unter 50 % beteiligt sind.
- Des Weiteren gilt das Urteil für Familienmitglieder, die in einem Unternehmen (UG, GmbH, GmbH & Co. KG) mitarbeiten und als versicherungsfrei eingestuft wurden, sowie für
- am Unternehmen (OHG, KG, GbR) beteiligte Mitarbeiter mit einem Stimmrecht von unter 50 %, die als versicherungsfrei eingestuft wurden.