In Vollkostenbetrachtung scheint Potenzial auf
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Das Vertriebscontrolling hat das Ziel, das Erreichen des geplanten Betriebsergebnisses abzusichern. Gleichzeitig dient es dazu, Frühindikatoren auszumachen, die zukünftig auf eventuelle Vertriebsprobleme und Umsatzeinbrüche hinweisen können. Daher ist das Vertriebscontrolling ein wichtiges Element bei allen Effizienzsteigerungsvorhaben.
Die Aufgabe des Vertriebs im Unternehmen ist es primär, für Umsatz zu sorgen. Daher sind auch in vielen Unternehmen die Vergütungssysteme auf das Umsatzvolumen ausgerichtet. Für das Unternehmen ist aber das Betriebsergebnis oder – bei der Betrachtung auf Produktebene – die Marge mindestens genauso wichtig. Erst das Produkt aus Produktmarge und der abgesetzten Stückzahl ergibt den Betrag, mit dem die Fixkosten und der Gewinn des Unternehmens erwirtschaftet werden müssen.
Vertriebskosten und Vertriebsmarge
Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl und Steuerung der Vertriebskanäle (direkter und indirekter Vertrieb) ist daher die Kalkulation der realen Vertriebskosten je gewonnenem Kunden. Das hierzu erforderliche Vertriebscontrolling wird allerdings häufig nur eingeschränkt betrieben. Dabei müssen alle Kosten erfasst werden, nicht nur Provisionen oder Einkaufsrabatte, sondern auch Rückläufer, Kommissionen, Werbematerialien, der Aufwand für Schulungen und vertriebliche Betreuung. Diese Vollkostenbetrachtung ergibt über die verschiedenen Vertriebskanäle hinweg häufig interessante und unerwartete Ergebnisse.
In die Ermittlung der Akquisitionskosten bei der Neukundengewinnung fließen die folgenden Kostenpositionen ein:
- Werbekosten, z.B. für Anzeigen,
- Kosten für Verkaufsförderungsmaterialien (Prospekte, Poster, Displays, Aufkleber etc.)
- Kosten für Verkaufsförderungsaktionen (z.B. Promotions, Werbegeschenke, Messen, Events, Mailings),
- Vertriebskosten (Personalkosten, Reisekosten, Werbekostenzuschüsse, Provisionen, Boni etc.),
- Kosten für Kundeninformation (Newsletter, Mailings, Kunden-Magazine etc.),
- Kosten für Kundenbindungsinstrumente (Kundenkarten, Garantie- und Reparatur-Services, Kundenklubs etc.) sowie
- Kosten für das Beschwerdemanagement (Personal, Abschreibungen auf Call Center, Training etc.).
Zuordnung
Oft ist es dazu sinnvoll, zwischen Neukunden und Kundenstamm zu differenzieren. Als Neukunden wird die Summe aller Erstkäufer in einem betrachteten Zeitraum bezeichnet (in der Regel einem Geschäftsjahr). Der Kundenstamm besteht aus Neukunden und Altkunden (Wiederkäufer und Stammkunden). Zur Vereinfachung werden im ersten Schritt alle primär akquisitorischen Kosten (Werbung, VKF-Material und Aktionen, Vertriebskosten und Werbekostenzuschüsse) nur den Neukunden zugerechnet. Die verbleibenden Kosten für Kundeninformation, Kundenbindung und Beschwerdemanagement werden dagegen in Relation zum Kundenstamm betrachtet. So berechnet ergeben sich daraus die Kosten der Neukundengewinnung pro Kunde.
Marge und Sonderkonditionen
Da nicht alle Kosten von den Vertriebsmitarbeitern direkt beeinflusst werden können, wird in der variablen Vergütung meist nur Absatz oder Umsatz als Messgröße angesetzt. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt in ihrer Einfachheit. Auf der anderen Seite verführt dies dazu, einen „schnellen“ Umsatz durch hohe Sonderkonditionen oder Werbekostenzuschüsse zu schaffen.
Aus diesem Grund ist eine interne Freigabeprozedur einzurichten, die überprüft, welche Konditionen gewährt werden können. Wird für die variable Vergütung anstatt des Umsatzes die erzielte Vertriebsmarge gewählt, so ist der Fokus des Vertriebsmitarbeiters stärker auf margenstarke Geschäfte gerichtet. Trotzdem lassen sich natürlich Nachlasse, Mengenrabatte oder Werbekostenzuschüsse auch hierdurch nicht vermeiden, da das Unternehmen im Wettbewerb zu anderen Anbietern steht.
Vertriebskennzahlen als Frühwarnindikatoren
Da die Betrachtung von Umsatzentwicklungen und Margen eine retrospektive Sichtweise ist, sollte sich das Vertriebscontrolling auch mit den Kennzahlen beschäftigen, die solche Vorgänge beschreiben, die dann zu Umsatz führen sollen, d.h. Angebote, Präsentationen, Kundenbesuche, Informationsversand, Erstkontakte. Je nach Vertriebsform gibt es hierfür weitere Kennzahlen. Neben dem Angebotsvorlauf sind die Verhältnisse von Angeboten je Auftrag, Präsentationen je Angebot, Kundenbesuche je Erstkontakt, Erstkontakte je Werbemaßnahme etc. als Frühindikatoren interessant.
Dabei interessiert sich das Vertriebscontrolling nicht nur für die statischen Werte, die auch markt- oder geschäftstypspezifisch sein können, sondern auch für die zeitliche Entwicklung. Verschlechtert sich das Verhältnis von Angeboten je Auftrag, so bedeutet dies, dass mehr Angebote erstellt werden müssen, um den Umsatz zu halten. Mehr Umsatz bedeutet dann mehr Kundenbesuche und somit möglicherweise die Neueinstellung von Vertriebsmitarbeitern. Es kann auch bedeuten, dass mehr Werbung geschaltet werden muss, um zu einer größeren Zahl von Erstkontakten zu kommen.
Diese Kette von Auswirkungen führt zu steigenden Kosten bei gleich bleibenden Umsätzen. In der Regel ist spätestens zu diesem Zeitpunkt eine gründliche Vertriebsanalyse durchzuführen. Die Abläufe sprechen möglicherweise für Änderungen in der Produktakzeptanz aufgrund einer veränderten Positionierung im Markt, einem abnehmenden Produktnutzen oder Änderungen im Zielgruppenverhalten.
Diese Ursachen lassen sich natürlich nur in Ausnahmefällen mit Instrumenten des Vertriebscontrollings finden. Es ist aber dessen Aufgabe, solche Entwicklungen, die in vielen Fällen schleichend entstehen, frühzeitig zu erkennen. Dann können Gegenmaßnahmen wie z.B. eine Vertriebsoptimierung auf der Basis einer unvoreingenommen durchgeführten Vertriebsanalyse so rechtzeitig eingeleitet werden.
Zuständigkeit und Kompetenzen
Wie der Name schon nahe legt, sollte das Vertriebscontrolling im Controllingbereich angesiedelt sein. Natürlich sind einige der angesprochenen Kennzahlen und Auswertungen originäre Aufgaben des Vertriebsleiters und auch der Vertrieb selber sollte bemüht sein, die Performance und Effizienz im Vertriebsprozess laufend zu verbessern. Trotzdem ist eine unabhängige Instanz zur Durchführung der Auswertungen sinnvoll. Die Analysen des Vertriebscontrollings sind typischerweise auch als regelmäßige Informationen für den Risikomanagementprozess zu nutzen, da Vertriebsprobleme oder gar absehbar rückläufige Umsätze für die meisten Unternehmen ein erhebliches Risikopotenzial darstellen.
Dies gilt natürlich nicht nur für die Überwachung der relevanten Vertriebskennzahlen, sondern auch für die Freigabeprozesse für Sonderkonditionen. Diese können Großkunden gewährt werden oder Vertriebspartnern, sie kommen allerdings auch in Verbindung mit Vertriebsaktionen im Breitenvertrieb vor. Alleine aufgrund der notwendigen Vorkehrungen im Rahmen des Risikomanagements sollte eindeutig festgelegt und kommuniziert werden, wer welche Befugnisse in Verbindung mit Sonderkonditionen hat. Hierzu sind Schwellenwerte und Informationswege festzulegen und dann innerhalb der Stufen die Zuständigkeiten. Bereits bei mittleren Stufen sollte die Freigabe durch Vertriebsleiter und Controlling verbindlich geregelt sein! Bei größeren Zugeständnissen sollte auch der Geschäftsführer in die Entscheidung einbezogen werden. Natürlich müssen die notwendigen Freigaben eingeholt werden, bevor verbindliche Zusagen gegeben werden.
Schwarz auf Weiß
Eine ausführliche Darstellung zum Thema Vertrieb für den Mittelstand gibt Dr. Jürgen Kaack im Ratgeber „Der optimale Vertrieb – Erfolgsfaktor im Wettbewerb“, den Sie online kostenfrei im Pressezentrum des MittelstandsWiki bekommen.
Fazit: Interne Kooperation ist optimal
Das Vertriebscontrolling sichert bei richtiger Umsetzung die wirtschaftliche Stärke eines Unternehmens und liefert Frühwarnindikatoren zu einem Zeitpunkt, an dem noch Reaktionen möglich sind. Insbesondere„schleichende“ Veränderungen lassen sich mithilfe des Vertriebscontrollings aufdecken. Daher ist es nicht als zusätzlicher Bürokratismus zu begreifen, die lediglich Kosten reduzieren soll, sondern als eine auf die Zukunftssicherung des Unternehmens ausgerichtete Funktion.
Teil 1 betont, wie wichtig der Vertrieb ist, und sagt, welche Aufgaben ihm zufallen. Teil 2 widmet sich Vertriebsplanung und Vertriebskanälen. Teil 3 spielt die Abläufe von der ersten Ansprache bis zum Abschluss durch. Teil 4 gibt praktische Tipps für die Effizienzsteigerung im Tagesgeschäft.
Am wirkungsvollsten arbeitet das Vertriebscontrolling dann, wenn sich eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Controlling und Geschäftsführung erreichen lässt. Letztlich haben alle drei Instanzen dasselbe Ziel und ergänzen sich gegenseitig.