Work-Life-Balance: Was für gutes Gleichgewicht sorgt

Nicht nur die Nachwuchstalente aus der Generation Z in der IT-Branche legen zunehmend Wert auf eine Work-Life-Balance, in der die beruflichen Anteile weniger dominant sind. Branchen- und altersübergreifend haben Beschäftigte spätestens durch das erzwungene Homeoffice in der Pandemie ihre Prioritäten verschoben.

Arbeit und Leben im Gleichgewicht

Von Michael Praschma

Beim Wort „Fachkräftemangel“ verfinstern sich die Mienen allerorts. Die IT-Abteilungen in Unternehmen und Organisationen sind davon jedoch notorisch betroffen. Dabei ist der ganze Bereich dringend gefordert, die Digitalisierung – spät, aber umso dringlicher – voranzutreiben. Ohne Spezialisten, die auf dem neuesten Stand der Entwicklung sind, wird das aber nichts.

Der Bedarf ist das eine. Dadurch bedingt kommt aber noch hinzu, dass die Personalakquise mittlerweile ein klarer Bewerbermarkt geworden ist: IT-Fachkräfte können zwischen den händeringend suchenden Anstellungsanbietern auswählen. Und somit auch Konditionen aushandeln, auf die Unternehmen wohl oder übel eingehen müssen, um Personal zu bekommen und längerfristig zu binden. So scheint es.

Ein Grund zu jammern?

Die Probleme bestehen und sie sind ernst, kein Zweifel. Im Umgang damit ist allerdings noch kein klarer Trend zu erkennen. Homeoffice anzubieten, um Beschäftigten mehr Gestaltungsfreiraum zu ermöglichen, wird zum Beispiel von den großen Tech-Konzernen unterschiedlich gehandhabt.

Zoom – fast schon ein Synonym für die Arbeit im Homeoffice geworden – verlangt jetzt von allen seinen Mitarbeitern, die weniger als 50 Meilen entfernt wohnen, an mindestens zwei Wochentagen am Arbeitsplatz zu erscheinen. Drei Wochentage verlangen Apple und Amazon. Twitter (jetzt X), schwenkte bereits vor einigen Monaten komplett um: von „Homeoffice wann immer“ zu täglich im Büro. Aber bei Elon Musk kann das ja morgen auch wieder anders sein. Solche Entscheidungen wirken sich bei Weitem nicht nur organisatorisch aus. Denn damit verbunden sind z.B. auch ungenutzte (oder wieder benötigte) Büroflächen, Sicherheitsfragen beim Umgang mit angepasster Hard- und Software usw.

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Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland beim Thema Work-Life-Balance nicht besonders gut ab. (Bild: OECD, statista)

Es wird also alles immer schwieriger? – Es scheint zumindest so. Beispiel Arbeitszeitverkürzung, die ja auch unmittelbar mit der Work-Life-Balance zusammenhängt. Bei unserem Nachbarn Österreich hat etwa die mächtige Wirtschaftskammer gerade erst eine mediale Breitseite gegen „Rufe nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung“ lanciert. Begründung: Verschärfung des Arbeitskräftemangels, sinkendes Bruttoinlandsprodukt, Einbußen im Sozialsystem, und fast die Hälfte der Erwerbstätigen sei ja sogar bereit, mehr zu arbeiten. WKO-Präsident Harald Mahrer konstatiert leicht übellaunig in einem Interview: „Wir werden mehr arbeiten müssen, nicht weniger.“ Ob allerdings Appelle und Klagerufe die Situation spürbar verbessern, darf bezweifelt werden. Was aber wollen junge Nachwuchskräfte tatsächlich?

Der Job ist noch immer wichtig

Bei der Generation Z (Jahrgänge von 1997 bis 2012) sind es fast die Hälfte und bei den Millennials (1981 bis 1996) ist es eine deutliche Mehrheit, die ihrem Job – wenn auch erst nach Familie und Freundschaften – eine zentrale Rolle für ihr Identitätsgefühl beimessen. Die Arbeit ist dabei wichtiger als Hobbys und andere Freizeitaktivitäten wie Spiele und Training. Das ergab eine aktuelle Deloitte-Umfrage mit über 22.000 Teilnehmenden aus 44 Ländern.

Junge Bewerberinnen und Bewerber achten allerdings schon bei Vorstellungsgesprächen darauf, wie sich Beruf und Privatleben beim potenziellen neuen Arbeitgeber vereinbaren lassen. Auch die Unternehmenskultur bzw. das Betriebsklima spielen laut derselben Untersuchung eine wichtige Rolle. Der Weg in eine „9 bis 17 Uhr“-Tradition ist bei vielen ausdrücklich nicht mehr erwünscht.

Soweit Work-Life-Balance von der Möglichkeit abhängt, mobil zu arbeiten, ist am deutschen Arbeitsmarkt durchaus einiges in Bewegung: Zwei Drittel der Unternehmen ermöglichen „generell“ mobiles Arbeiten, und zwar in der Mehrzahl der Fälle an zwei oder drei Tagen. Knapp ein Drittel der Unternehmen lässt Beschäftigten überhaupt die freie Wahl des Arbeitsortes. Insgesamt existieren in vier von fünf Firmen Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten. Das sind die Ergebnisse einer Umfrage bei ca. 400 deutschen Unternehmen und Organisationen, durchgeführt vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Worum geht’s wirklich?

Mobiles oder hybrides Arbeiten ist aber sicherlich nicht alles – ebenso wenig wie einfach nur weniger Arbeitsstunden pro Woche. Das eine ist teilweise nur die zur Tugend gemachte Not, den Betrieb während der Pandemie aufrechtzuerhalten. Dass das Homeoffice nicht immer ein Paradies ist, hat sich in dieser Zeit oft schmerzhaft erwiesen. Das andere, die blanke Reduzierung der Arbeitszeit, wirft nicht nur in manchen Branchen bzw. Aufgabenfeldern strukturelle Probleme auf und verschärft unter Umständen noch den Fachkräftemangel – sie ist oft auch „nur“ eine soziale Maßnahme ohne ganzheitliches Lösungspotenzial, basierend auf herkömmlichem gewerkschaftlichem Denken.

Die Generation Z trennt, wenn überhaupt, ihre Lebensbereiche anders als bislang gewohnt. So wie bei ihnen virtuelle Kontakte und „echte“ Begegnungen zunehmend miteinander verschmelzen, sind auch die Sphären von Arbeit und Freizeit nicht mehr strikt voneinander abgeschottet. Status und Gehaltshöhe, die die berufliche Position verspricht, treten gegenüber Selbstverwirklichung im Job und einem persönlich befriedigenden Arbeitsumfeld in den Hintergrund.

Das wird von nicht wenigen Arbeitgebern kritisch gesehen: Die Wünsche und Vorstellungen der Generation Z seien auch verbunden mit mangelnder Belastbarkeit und Verantwortungsbereitschaft sowie weitgehender Kritikunfähigkeit. Doch wie damit umgehen – vorausgesetzt, die Diagnose stimmt und ist nicht vielleicht doch nur das Ergebnis einer starren und nicht mehr zeitgemäßen Arbeitsorganisation? Jedenfalls wird der Versuch, das junge Gemüse einfach stärker zu disziplinieren, wohl eher zu stillen oder gar tatsächlichen Kündigungen führen als zur wundersamen Verwandlung des Nachwuchses in strebsame Karrieristen.

Es ist einigermaßen gut belegt, dass die Generation Z im Vergleich mit ihren Vorgängerkohorten die am meisten gestresste ist; mit der psychischen Gesundheit sieht es bei der jungen Belegschaft oftmals nicht rosig aus. Aber diese Generation zieht anscheinend ziemlich nachdrücklich und konsequent Konsequenzen daraus: Sie fordert Konditionen ein, die ihren Ansprüchen gerecht werden.

Wege, das Unvereinbare zu vereinen

Die Bedingungen werden in jedem Unternehmen und in jedem Berufsfeld unterschiedlich viel Gestaltungsspielraum bieten, aber ab irgendeinem Punkt endet das immer – dann nämlich, wenn die Arbeit nicht mehr erledigt wird. Doch diesen Punkt gilt es auszuloten. Und dabei ist von Arbeitskräften ebenso Flexibilität und Kreativität gefragt wie von den Unternehmen.

Da es sich um ein verbreitetes Problem handelt, gibt es immer wieder neue Best-Practice-Ansätze. Deren Tauglichkeit für das eigene Unternehmen lassen sich abchecken. Und Lösungen für das berufliche Wohlbefinden von Beschäftigten liegen womöglich gar nicht immer bei einem ganz bestimmten Arbeitszeitmodell oder der Frage hybrider Arbeitsstrukturen. Sich dazu konstruktiv an einen Tisch zu setzen, kann hilfreicher sein als immer nur wechselseitige Forderungen isoliert zu verhandeln.

Einen „Chief Happiness Officer“ (CHO) hat sich z.B. das Softwareunternehmen itemis AG verordnet. Bei dem Glück, für das dieser Mann tatsächlich zuständig ist, geht es aber nicht um Mitarbeiterbespaßung durch Grillfeste und Ähnliches. Vielmehr soll der CHO „den konstanten Aufforderungscharakter verkörpern, eigene Wünsche, Potenziale und die professionelle Kreativität mit dem Job in Deckung zu bringen – tendenziell eine Verschmelzung von Work und Life, aber zur Zufriedenheit beider Seiten“, erfährt man bei Jesse Demel und Jens Wagener von itemis im Interview mit heise.de. Inklusion, Transparenz, Einbeziehung, Förderung … solche Dinge flankieren hier die Unternehmenskultur. Das scheint zu gelingen. Bewerber entscheiden sich für einen itemis-Job trotz teilweise um ein Drittel geringerer Gehälter als bei den Mitbewerbern.

Mein Job soll kein Balanceakt sein

Nachwuchskräfte, die sich mit nicht verhandelbaren Vorstellungen bewerben, weil sie wissen, dass ein Unternehmen sie dringend braucht, werden an Grenzen stoßen, weil irgendwann dann doch die Stellen rar werden, die ihnen – vielleicht zähneknirschend – unbeschränkte Spielräume einräumen können. Wer dagegen die Situation eines potenziellen Arbeitgebers mitdenkt und die Bereitschaft und Fähigkeit zu erkennen gibt, eigene und unternehmensseitige Interessen abzuwägen, wird zumindest bei halbwegs aufgeschlossenen Anstellungsträgern schon in diesem Schritt Anerkennung und Wertschätzung ernten. Und gerade um die geht es ja in erheblichem Umfang.

Andersherum wird es sich für Personalverantwortliche auszahlen, Zeit zu investieren, um maximal transparent die eigenen (vielleicht vermeintlichen?) Zwänge zu erklären und mit Bewerbern ebenso wie mit bereits Beschäftigten zunächst ergebnisoffen auszuhandeln, wie sich Arbeit gestalten lässt. Die Work-Life-Balance richtig zu justieren, ist nicht einfach, dafür aber bei Weitem vielfältiger, als es oft diskutiert wird. Und das kann dann unerwartete Chancen für alle Beteiligten bieten.

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Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/

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