Die deutsche Wirtschaft bleibt nach Meinung der Konjunkturforscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin auch 2011 und 2012 auf dem Wachstumspfad. Allerdings dürften die Wachstumsraten im Vergleich zum letzten Jahr deutlich zurückgehen, schätzt Konjunkturexperte Ferdinand Fichtner. Das Wachstum von rund 3,7 % des alten Jahres werde sich nicht wiederholen. Für 2011 prognostiziert das DIW Berlin ein Wachstum von 2,2 %, 2012 rechnen die Experten mit 1,3 %. Beim Wachstum 2010 spielten laut Fichtner Aufholeffekte noch eine Rolle, die es heuer nicht mehr gebe. Immerhin werde die Wirtschaft aber vom Außenhandel, von Bau– und den Ausrüstungsinvestitionen und vom privaten Konsum zugleich angeschoben.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei allerdings nicht so günstig, wie sie aussehe, warnt Fichtner. „Von der Krise betroffen waren vor allem die Vollzeitbeschäftigten. Die Beschäftigung in diesem Bereich erholt sich nur langsam.“ Der kräftige Anstieg der Erwerbstätigenzahl im Lauf des Jahres 2010 sei zu einem großen Teil durch mehr Teilzeitstellen zustande gekommen. Auch in diesem Jahr wachse die Beschäftigung – allerdings mit abgeschwächtem Tempo. Die Arbeitslosigkeit nehme deshalb zwar weiter ab; werde aber im Jahresdurchschnitt bei mehr als drei Millionen zu liegen kommen.
Die weitere Steigerung der Wirtschaftsleistung sorge auch für eine deutliche Verbesserung der öffentlichen Finanzen: Für 2011 und 2012 rechnen die Konjunkturforscher des DIW mit einer Neuverschuldung von 2,4 und 2,1 % des Bruttoinlandsprodukts. Die Maastricht-Kriterien würden damit eingehalten.
DIW–Präsident Klaus F. Zimmermann warnt aber vor Euphorie: „Die Staatsschulden steigen weniger als befürchtet, aber sie steigen. Die deutsche Schuldenquote dürfte alles in allem mittlerweile bei über 80 % liegen. Die Konsolidierung schreitet nicht so voran, wie sie es angesichts des starken Wirtschaftswachstums sollte.“ Die Regierung sollte deshalb die Gelegenheit nutzen: „Einen Spielraum für Steuerentlastungen gibt es nicht. Stattdessen müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand.“ Zimmermann nannte unter anderem die Subventionen für Steinkohle und Landwirtschaft und die Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit. Außerdem solle die Regierung über eine Verbesserung der Einnahmen nachdenken. So brauche die Umsatzsteuer eine grundlegende Reform.
Der Außenhandel bleibt nach Einschätzung der DIW-Experten ein Wachstumstreiber der deutschen Wirtschaft. Nachdem die Ausfuhren 2010 um rund 10 % gewachsen sind, könnten sie 2011 um weitere 6 % steigen. „Die Exportwirtschaft erreicht im Prognosezeitraum wieder ein Produktionsniveau wie vor der Krise“, glaubt Experte Fichtner. Verantwortlich dafür sei vor allem die Nachfrage aus den Schwellenländern, die von der Krise nicht so stark betroffen waren wie die Industrieländer.
Weltweit erwarten die DIW-Forscher für 2011 und 2012 ein Wirtschaftswachstum von 4,2 und 4,5 %. Besonders im Euroraum werde es weiterhin große Unterschiede im Wirtschaftswachstum von Kern- und Peripheriestaaten geben, warnt das DIW. „Die Krisen in Ländern wie Griechenland oder Spanien sind das Ergebnis struktureller Probleme“, begründet Christian Dreger, Leiter der Konjunkturabteilung am DIW Berlin diese Einschätzung. Zurzeit unterstütze zwar die Europäische Zentralbank die Peripheriestaaten mit besonders niedrigen Zinsen, für Länder wie Deutschland seien die Zinsen aber mittlerweile zu niedrig, so Dreger weiter. „Langfristig wird die EZB deshalb die Zinsen anheben müssen.“
Besonders kritisch sehen die DIW–Experten die Maßnahmen zur Lösung der Eurokrise. DIW-Präsident Zimmermann warnt, die Eurokrise sei zunächst eine Staatsschuldenkrise und damit die Krise einzelner Mitgliedsstaaten. Ob Eurobonds oder Rettungsschirm, viele der vorgeschlagenen oder ergriffenen Maßnahmen seien nur Liquiditätshilfen, die das Problem nicht lösen könnten. Durch die Hilfen würde im Gegenteil nur der Druck auf die Regierungen der Krisenländer gelockert, endlich die strukturellen Probleme anzugehen. Wichtig wäre deshalb, diese Hilfen mit harten Auflagen zu verbinden. Entscheidend sei außerdem die Einführung von formellen Mechanismen mit klaren Regeln zur Überwindung solcher Krisen. Dazu gehöre eine strenge Kontrolle der Fiskalpolitik der europäischen Staaten durch eine unabhängige europäische Institution und eine Umschuldung der bedrängten Staaten, die nicht nur den Steuerzahler, sondern vor allem die beteiligten privaten Kreditgeber ins Boot nehme.
Der am 16. Dezember 2010 beschlossene Europäische Stabilitätsmechanismus ist für Zimmermann deshalb eine verpasste Gelegenheit: „Der Beschluss enthält einige gute Ansätze. Aber die Regelungen für die zukünftige Beteiligung der Banken an den Rettungsaktionen sind nicht klar genug. Das wird wieder für Verunsicherung auf den Finanzmärkten sorgen, mit den entsprechenden negativen Folgen für die betroffenen Staaten und den gesamten Euroraum.“
Weitere Prognosedetails und Einzelaspekte können in der Ausgabe Nr. 1–2/2011 der DIW-Publikation Wochenbericht nachgelesen werden. Die Ausgabe steht als kostenloser Download online zur Verfügung.
(DIW Berlin / ml)