Deutsche und Schweizer Unternehmen bedienen laut der neuen Studie Die Quánsù-Strategie: China fordert Höchstgeschwindigkeit der Strategieberatung Bain & Company den chinesischen Markt noch immer fast ausschließlich mit ihren Premiumprodukten. Das habe zwar jahrelang gut funktioniert, so die China-Experten des Beratungsunternehmens. Langfristig bedeute das jedoch einen Verzicht der Unternehmen auf das in China erheblich stärker wachsende mittlere Marktsegment.
Durch die Konzentration der deutschen und Schweizer Unternehmen auf das Premiumsegment könnten die chinesischen Konkurrenten das Mittelfeld ungehindert selbst besetzen, so die Studienautoren Michael Füllemann und Dr. Martin Holzapfel. Ihre Studie zeige daher, „wie westliche Unternehmen den chinesischen Massenmarkt mit einer Gut-Genug-Strategie erobern können.“
Wie wichtig der chinesische Markt in seiner Gesamtheit in den nächsten Jahrzehnten für hiesige Unternehmen sein wird, lässt sich allein schon daran erkennen, dass bis zum Jahr 2030 ein Drittel des weltweiten Wirtschaftswachstums voraussichtlich auf China entfallen wird.
Zwar erklärten 81 % der in einer Bain-Umfrage unter 800 Entscheidern Befragten, ihr Unternehmen habe seinen Umsatz im Reich der Mitte in den vergangenen fünf Jahren gesteigert. Doch bisher bearbeiten diese Firmen nur einen Bruchteil des chinesischen Marktes: 53 % erklärten, dass ihr Unternehmen das Premiumsegment als besonders lukrativ erachtet. Lediglich 42 % sahen größere Chancen im mittleren Marktsegment.
Die Studienautoren warnen aber: Zwar sei das Premiumsegment mit seinen hohen Qualitäts- und Serviceansprüchen in Ländern wie China das ideale Einfallstor für westliche Unternehmen: Doch die wachsende Mittelschicht und die steigende Qualität lokaler Produkte veränderten das Marktgefüge in China. Beides zusammen erhöhe die Preissensibilität der Kunden und schaffe eine wachsende Nachfrage im mittleren Preisbereich – dem sogenannten Gut-Genug-Segment.
Das Gut-Genug-Segment stehe daher langfristig für mehr als 50 % des chinesischen Marktes und wachse derzeit in vielen Produktkategorien erheblich schneller als der Gesamtmarkt. Kunden erwarten in diesem Gut-Genug-Segment ein funktionierendes Produkt zu einem fairen Preis-Leistungsverhältnis – nicht mehr. Weitreichende Produktmerkmale oder integrierte Serviceangebote wollen und können sich viele Käufer noch nicht leisten.
Bislang dominieren laut Studie lokale Anbieter diesen wachstumsstarken Markt.
„Vernachlässigen westliche Unternehmen das mittlere Marktsegment weiter, geben sie ihren chinesischen Wettbewerbern viel Raum, um Qualität und Service so zu verbessern, dass sie zu einer echten Konkurrenz heranwachsen – in China und im Rest der Welt“,
warnt Michael Füllemann, Partner bei Bain & Company und China-Experte. Jedes Unternehmen müsse deshalb früher oder später die Entscheidung treffen, ob es in den entstehenden chinesischen Massenmarkt einsteigen will.
Die Bain-Studie zeige auch, so Füllemann weiter, dass die Entscheidung darüber erstens von der eigenen Wettbewerbsposition abhängt und zweitens von der Entwicklung im angestammten Premiumsegment. Je stärker die eigene Position und je geringer die Bedeutung des Premiummarktes, desto eher empfehle sich der Eintritt in das mittlere Segment.
Bei dieser Strategie müssen Einkauf, Produktion und Marketing allerdings weitgehend lokalisiert werden, damit westliche Unternehmen zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten und eine Differenzierung zwischen Premium- und Standardprodukten gewährleisten können. Der Aufzugshersteller Otis nutzt beispielsweise seit vielen Jahren eigenständige Marken für die unterschiedlichen Segmente: Während die Marke Otis mehrheitlich dem Premiumsegment vorbehalten ist, fahren günstigere Aufzüge im sozialen Wohnungsbau unter den Marken Xizi Otis und Express. Erfolg dieser Differenzierung: Otis steigerte seit 2003 seinen Marktanteil in China von 14 % auf heute 25 %.
Vier Erfolgsfaktoren für das Gut-Genug-Segment:
- Klar differenzierte Kundensegmentierung, um das bestehende hochmargige Premiumgeschäft nicht zu gefährden
- Eigenständiges und innovatives Produktangebot, um gegen heimische Wettbewerber punkten zu können
- Leistungsfähiger Vertrieb, der das erheblich größere, geographisch weit verstreute Kundenpotenzial erreicht
- Aggressives Kostenmanagement durch weitgehende Lokalisierung der Wertschöpfung
„Auf Dauer gibt es in vielen Produktkategorien keine Alternative zu dieser Expansion“, so Füllemann. „China entwickelt sich schon aufgrund seiner Bevölkerungszahl nach und nach für viele Industrie- und Konsumgüterhersteller zum weltgrößten Markt. Nur wer hier eine starke Stellung im Premium- und im Gut-Genug-Segment besitzt, kann im globalen Wettbewerb eine Führungsrolle beanspruchen.“
Bei der Expansion in den Gut-Genug-Markt stehen nach Meinung des Experten den Unternehmen zwei Wege offen: die Erweiterung des Leistungsspektrums aus eigener Kraft und die Akquisition passender lokaler Anbieter. Bislang halten sich europäische Unternehmen allerdings mit Firmenübernahmen im Reich der Mitte zurück: Während strategische Fusionen und Übernahmen (M&A) in China von 2005 bis 2010 um 34 % pro Jahr gestiegen sind, blieb der Wert für M&A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung im gleichen Zeitraum auf unverändert niedrigem Niveau. Füllemann kennt die Hintergründe:
„Oftmals behindern regulatorische Auflagen Akquisitionen. Unabhängig davon scheuen viele Unternehmen auch aus organisatorischen und kulturellen Gründen Übernahmen in China. Viele Firmen beklagen darüber hinaus die fehlende Transparenz des chinesischen Marktes. Die Bedeutung dieser Faktoren schwindet indes, je stärker China ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie wird. In den kommenden Jahren erwarte ich daher eine wachsende Zahl von Übernahmen.“
Die Studie Die Quánsù-Strategie: China fordert Höchstgeschwindigkeit steht per PDF-Download kostenfrei im Internet bereit. (Quelle: Bain & Company/ml)