Bisher wurden jährlich rund 0,8 % des privaten Wohnbestands energetisch saniert, wie eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ergab (wir berichteten darüber). Dieser Wert reicht aber nicht aus, die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Diese plant deshalb eine Anhebung auf 2 %. Doch bezahlen müssen das die Bundesbürger. Auf sie rollen dann bis zum Jahr 2030 Kosten von bis zu 750 Mrd. Euro zu – macht eben mal für jeden deutschen Haushalt gut 1000 Euro jährlich für die nächsten zwei Jahrzehnte. Das zeigt die brandneue Shell HausWÄRME-Studie des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).
Die vom Energiekonzern Shell in Auftrag gegebene Studie stellt nicht die Notwendigkeit der Sanierung als solche infrage. Sie geht aber der Vermutung nach, eine Verdoppelung der Sanierungsrate erbringe keine der damit einhergehenden Kostensteigerung entsprechende höhere Energie- und Treibhausgaseinsparung. Dieser Verdacht bestätigte sich im Laufe der wissenschaftlichen Analyse auch. Das eigentlich interessante Fazit der Studienautoren lautet aber: Eine breit angelegte, schnelle und weniger perfekte energetische Sanierung bringt bei vergleichbar hohen Kosten unter dem Strich ein besseres klimatisches und energetisches Gesamtergebnis als eine langsamere umfassende Sanierung.
Bleibt die Bundesregierung bei ihren derzeitigen Plänen, die jährliche Sanierungsrate von jetzt knapp 1 % auf 2 % des gesamten Gebäudebestandes anzuheben, würden bis 2030 zwar der Energieverbrauch um bis zu 40 % und die Treibhausgasemissionen um bis zu 44 % sinken. Dafür müssten die Bundesbürger aber rund 750 Mrd. Euro in Gebäudesanierungen investieren. Das könnte für einen nicht unerheblichen Teil der jetzigen Wohnraumbesitzer – vor allem viele Besitzer älterer Eigenheime – dazu führen, dass ihre Immobilie praktisch unbezahlbar wird und verkauft werden muss.
Andererseits verbrauchen die rund 40 Mio. privaten Haushalte mit ihren 178 Mio. Räumen auf einer Fläche von insgesamt 3,4 Mrd. m² derzeit rund 28,5 % des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland. Außerdem verursachten die rund 18 Mio. Heizungsanlagen in den privaten Haushalten im vergangenen Jahr Treibhausgasemissionen in Höhe von 113,1 Mio. CO2-aquivalente Tonnen Treibhausgase. Das entspricht 14,2 % der direkten energiebedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Eine energetische Sanierung des privaten Wohnbestands ist daher unumgänglich. Die Frage lautet also nicht, ob, sondern wie unter Kosten-Nutzen-Aspekten am effizientesten saniert werden soll.
Laut Shell-Studie sind drei Viertel des heutigen Wohnungsbestandes über 25 Jahre alt. Sie verbrauchen 90 % der Heizenergie. Der Energiebedarf von Bestandswohnungen ist damit heute im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch wie vom Gesetzgeber für Neubauten erlaubt. Ein Großteil des Wohnungsbestandes wird sich in den kommenden Jahren jedoch durch Wärmedämmung der Gebäudehülle dem Niedrighausenergiestandard annähern. Die bauliche Sanierung von Wohnungsbestand ist jedoch vergleichsweise aufwändig und teuer. Neubaustandards lassen sich nach Expertenmeinung im Wohnungsbestand in der Regel nicht erreichen.
Um die Frage nach der optimalen Sanierungsstrategie beantworten zu können, rechneten die Wissenschaftler des Hamburger Instituts mehrere Szenarien durch. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich die Wohnfläche bis 2030 trotz sinkender Bevölkerung gegenüber 2008 um gut 10 % vergrößern wird. Da bis 2030 aber voraussichtlich nur etwa 16 % der gesamten Wohnfläche erneuert werden, muss der Wohnbestand energetisch saniert werden.
Wird nun der heutige Trend mit einer Sanierungsrate von 1 % fortgeschrieben, sänken der Energieverbrauch um 26,2 % und die Treibhausgasemissionen um 27 %. Die damit verbundenen Investitionskosten lägen bei insgesamt 386 Mrd. Euro.
Verdoppelte man nun die Sanierungsrate auf 2 %, stiegen die Einsparungen an Energie und an Treibhausgasen zwar auf das jeweils knapp Eineinhalbfache (Energie: 36,7 %; Treibhausgas: 39,2 %), gleichzeitig nähmen im Gegenzug aber auch die Investitionskosten um rund 100 % auf 744 Mrd. Euro zu. Die Investitionen für die zusätzlichen Sanierungsanstrengungen wären damit nur noch halb so wirksam wie jene, die bisher in die Sanierung flossen.
Die für eine Verdoppelung der Sanierungsrate anfallenden Investitionen lassen sich aber alternativ und ebenfalls klimaeffizient auch anderweitig einsetzen, z.B. in nachwachsende und erneuerbare Energien. In zwei weiteren Szenarien prüften die Wissenschaftler deshalb, ob sich – bei gegebenen Kosten von 744 Mrd. Euro – mit schnellen und günstigen Teilsanierungen unter Einsatz alternativer Energieformen mehr Energie und Treibhausgase einsparen lassen als bei einer umfassenden Vollsanierung, bei der stets das technisch Maximale umgesetzt wird.
Eine schnelle Sanierung kann laut Studie rund 39 % der Treibhausgasemissionen einsparen helfen; durch eine höhere Sanierungstiefe sind 43,8 % erreichbar. Insofern brächte die vollständige Sanierung einen wenn auch relativ geringen Vorteil. Sie erfordert jedoch hohe Investitionen in eine relativ kleine Fläche. Deshalb ergibt eine Abwägung: Im Szenario Schnell könnten bei einer durchschnittlichen Sanierungsrate von 2,5 % über 2 Mrd. m² Wohnfläche saniert werden, im Szenario Umfassend bei einer Sanierungsrate von 1,6 % aber nur 1,3 Mrd. m².
Diese Ergebnisse zusammen mit möglichen künftigen technischen Entwicklungen legen nahe, das Sanierungsziel noch einmal zu überdenken. So empfiehlt der Forschungsdirektor des HWWI, Michael Bräuninger mit Blick auf mögliche Förderungen,
„dass die Förderung weitgehend technologieunabhängig erfolgen sollte, da sich die technischen Möglichkeiten und deren Rentabilität kontinuierlich wandeln und nur schwer vorhersehbar sind. Ziel muss es dabei sein, die Gebäudemodernisierung möglichst effizient zu gestalten; denn jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.“
Für Jörg Adolf, Chefvolkswirt der Shell Deutschland macht die Studie vor allem deutlich, dass sich die energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung mit einer höheren Teilsanierungsrate schneller erreichen lassen als mit umfassenden Vollsanierungen.
Die Studie steht per kostenfreiem Download sowohl in einer PDF-Kurz-, als auch in einer PDF-Langfassung online zur Verfügung. (Quelle: HWWI/Shell/ml)