Sind Bewerbungen ohne Namen und Bild sowie ohne Angaben zum Alter, Geschlecht und Herkunft sinnvoll? Hilft diese so genannte Anonymisierung wirklich gegen unfaire Diskriminierung? Oder degradiert sie Bewerbungsunterlagen nicht vielmehr zur bloßen Farce? Die Meinungen darüber gehen in den Personalbüros weit auseinander. Ein Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) liefert nun belastbare Argumente für die Anonymisierung. So steht es zumindest im Abschlussbericht des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), der heute in Berlin vorgestellt wurde.
Die jetzige Form der Bewerbung richte durch die Benachteiligung einzelner Bewerbergruppen auf dem Arbeitsmarkt einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden an, warnte bei der Vorstellung des Abschlussberichts IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann. Mit der Anonymisierung von Bewerbungsverfahren könne der unbewussten oder bewussten Diskriminierung jedoch erfolgreich entgegengewirkt werden. Diesen Schluss lasse das Pilotprojekt der ADS zu, das durch das IZA und die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt (KOWA) an der Europa-Universität Viadrina wissenschaftlich begleitet wurde.
Die Untersuchungen verdeutlichen demnach, dass nach der Anonymisierung von Merkmalen wie Name, Geschlecht, Alter und Herkunft sowie dem Verzicht auf ein Bewerbungsfoto tatsächlich Chancengleichheit unter den Bewerbenden herrscht. Innerhalb der anonymisierten Bewerbungsverfahren haben folglich potenziell benachteiligte Gruppen die gleiche Chance auf eine Einladung zu Vorstellungsgespräch oder Eignungstest wie alle anderen Bewerbergruppen. Gleichzeitig zeige das Projekt, dass in Organisationen, die ohnehin bereits Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt ergriffen hatten, anonymisierte Verfahren nur ein begrenztes Potenzial entfalten konnten, so die Autoren des Berichts.
„Empirische Studien belegen nach wie vor ein erhebliches Ausmaß von Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Durch diese teils verdeckten, teils ganz offenen Benachteiligungen wichtiger gesellschaftlicher Gruppen werden wertvolle Potenziale verschenkt. Insbesondere die Ungleichbehandlung von Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und älteren Arbeitnehmern verursacht große volkswirtschaftliche Schäden“,
erklärte Zimmermann bei der Präsentation der Forschungsergebnisse in Berlin. Diese Ressourcenvernichtung könne man sich künftig, gerade auch mit Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel, nicht mehr leisten – von den ethischen und gesellschaftspolitischen Aspekten fehlender Chancengleichheit einmal ganz abgesehen.
Die in dem Pilotprojekt gewonnenen Erfahrungen müssten jetzt in eine Gesamtstrategie integriert werden, mahnte Zimmermann. Ursprüngliche Befürchtungen aus der Wirtschaft, solche Verfahren der Personalrekrutierung führten zu unnötiger Bürokratie, hätten sich in dem Modellversuch weitgehend als unbegründet erwiesen. Der Ansatz fördere vielmehr die nötige Sensibilität in der betrieblichen Praxis und sorge für ein geschärftes Bewusstsein gegenüber allgemeinen Diskriminierungstendenzen im Berufsalltag. „Ein Allheilmittel sind anonyme Bewerbungsverfahren aber nicht. Chancengleichheit im Bewerbungsprozess kann die strukturellen Benachteiligungen einzelner Bevölkerungsgruppen etwa im Bildungsbereich oder bei Beförderungen nicht kompensieren“, so Zimmermann weiter.
Für die Unternehmen zahle es sich aus ökonomischer Sicht jedoch aus, auf Vielfalt zu setzen, ermuntert Zimmermann: „Firmen, in denen Junge und Alte in Teams zusammenarbeiten, in denen die interkulturelle Kompetenz von Einwanderern klug genutzt wird und in denen junge Mütter mehr Förderung und Unterstützung erfahren, sind insgesamt produktiver als andere. Organisationen, die Vielfalt offen und zielgerichtet praktizieren, stehen somit im Ergebnis besser da.“
Der Abschlussbericht steht per Download kostenfrei im Internet bereit. (Quelle: IZA/ml)