In keinem anderen Land der Welt sind so viele Produkt- und Markenpiraten tätig wie in China. 71 % aller Plagiate weltweit kommen nach Angaben des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) aus dem Reich der Mitte. Eine Studie der Außenhandelskammern ergab, dass 57 % aller in China tätigen deutschen Unternehmen bereits von Markenpiraterie betroffen wurden. Ein Jurist und ein Betriebswirtschaftler der Hochschule Darmstadt sind nun in einer wissenschaftlichen Arbeit den Ursachen der chinesischen Fälscherszene nachgegangen. In ihrer Studie versuchen sie darüber hinaus, Unternehmen geeignete Vorbeuge- und Abwehrstrategien aufzuzeigen.
Aus welchen Gründen ist die Fälschungsindustrie in China so stark? Warum bleibt das Vorgehen chinesischer Gerichte weitestgehend erfolglos? Und welche Strategien können deutsche Unternehmen anwenden, um Umsatzeinbußen und Image-Risiken durch gefälschte Plagiate zu reduzieren? Der Jurist Prof. Dr. Rainer Erd und der Betriebswissenschaftler Prof. Dr. Michael Rebstock geben in ihrer Studie „Probleme der Rechtsdurchsetzung des Urheber-, Marken- und Patentrechts in China und deren Auswirkungen auf die Marktstrategie deutscher Unternehmen“ die Antworten darauf.
Die Studie zeigt, dass die von der Raubkopieindustrie verursachten volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Schäden durch die illegale Fälschung von Produkten und Markenzeichen beträchtlich sind. Aus Unternehmenssicht fallen Umsatzeinbußen der Originalhersteller, Verlust von Marktanteilen, Kosten für Schutzmaßnahmen und Rechtsverfahren sowie die Entwertung von Marken und Imageverlust an. Die gravierendsten Folgen sind Vernichtung von Arbeitsplätzen, Steuerausfälle für den Staat und Rückgänge der Beiträge zur Sozialversicherung. Für Deutschland schätzt das Bundesjustizministerium den entstandenen Schaden auf 25 Mrd. Euro pro Jahr. Der deutsche Arbeitsmarkt verliert darübr hinaus jährlich 70.000 Arbeitsplätze.
Hinzu kommen Auswirkungen für Mensch und Umwelt, Gefahr für Leib und Leben der Konsumenten und Missachtung von Umweltschutzauflagen. So können gefälschte Arzneimittel, die durch Mischung oder Ersatz von Piraterieware auf den Verbrauchermarkt gelangen, Patienten das Leben kosten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, dass 60 % der gefälschten Medikamente reine Placebos und 16 % mit Giftstoffen verunreinigt sind.
China hat zwar mit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 die internationalen Regeln des Urheber-, Marken- und Patentrechts übernommen, dennoch kann chinesisches Recht im Land scheinbar nur unzureichend durchgesetzt werden. Erschwert wird die Bekämpfung der Piraterieindustrie durch lokale Korruption. Zudem werden aufgrund tausendjähriger Tradition Plagiate gesellschaftlich nicht als verwerflich, sondern als anerkennenswert betrachtet.
Die Studie beschreibt neben der Ursachenanalyse eine große Bandbreite präventiver wirtschaftspolitischer, betriebswirtschaftlicher und technischer Maßnahmen gegen Produkt- und Markenpiraterie. Dazu gehört auch die Aufklärung. Das vorhandene Instrumentarium zum Schutz vor Verletzung geistiger Eigentumsrechte wird nach Meinung der Autoren bei weitem nicht voll ausgeschöpft. Oftmals wird bereits die Anmeldung der Schutzrechte in China versäumt; den Betroffenen bleiben dann praktisch keine Handlungsmöglichkeiten. Daher sei es eine wichtige Aufgabe der IHK und Außenhandelskammern Unternehmen zu informieren und wirksame Maßnahmen etwa zur technischen Sicherung der Produkte oder ständiger Marktbeobachtung aufzuzeigen.
Unter den in der Studie beschriebenen Anti-Piraterie-Strategien sind viele Maßnahmen, die Unternehmen selbst treffen können. Beispielsweise: Sichtbare und unsichtbare Kennzeichnungen der Originalprodukte, Direktvertrieb der Produkte in Factory Outlets, Ein-Haus-Produkt-Strategie usw.
Die Frage nach der Zukunft der Raubkopieindustrie in China beantworten die Autoren der Studie mit verhaltenem Optimismus. Prof. Dr. Rainer Erd:
„Es spricht vieles dafür, dass in den nächsten Jahrzehnten ein Wandel Chinas zu einer weitgehend raubkopiefreien Ökonomie zu erwarten ist. Zum einen ist dies ein Trend, der sich in Taiwan und Japan, die in einer vergleichbaren Lage waren, beobachten lässt. Zum anderen wird das heute noch rückständige Gerichtswesen in einem Jahrzehnt einem modernen, von qualifizierten Juristen geleiteten System gewichen sein. Obendrein wird mit wachsendem wirtschaftlichem Wohlstand in China das Interesse an Originalprodukten zunehmen, wie sich schon heute in den großen Städten des Ostens beobachten lässt, in denen in den letzten Jahren ein wohlhabender Mittelstand entstanden ist.“
Die komplette Studie steht als kostenfreier PDF-Download online zur Verfügung. (idw/ml)